Sparkassen Zeitung

Economy

2016: Ein Licht am Ende des Tunnels

Ausgabe #5/2015 • Trends

Führende heimische WirtschaftsexpertInnen und Bankvorstände ziehen ein Resümee und geben einen Ausblick auf das neue Jahr. Fest steht: 2016 wird es nur eine leichte Entspannung geben, Österreich muss noch viele Hausaufgaben erledigen.

Das Jahr 2015 hat leider einen Negativ-Rekord gebrochen: Eine Arbeitslosenrate von 9,9 Prozent hat es seit 1946 in Österreich nicht mehr gegeben. 391.417 Menschen sind derzeit ohne Job. Grund: Österreich bewegt sich seit 2007 quasi nicht mehr. Trotzdem sind die ÖsterreicherInnen mit ihrer Lebensqualität überdurchschnittlich zufrieden. Das geht aus der aktuellen Studie der Statistik Austria „Wie geht’s Österreich?“ hervor. Doch die Statistik Austria registriert unerfreuliche Entwicklungen: 2014 ging die reale Wirtschaftsleistung pro Kopf in der Alpenrepublik um 0,4 Prozent zurück (EU-28: +1,2 Prozent/Eurozone: +0,9 Prozent) und auch der reale Konsum pro Kopf sank um -0,6 Prozent, wogegen etwa Deutschland ein Plus von 0,9 Prozent verzeichnete. Die real verfügbaren Haushaltseinkommen pro Kopf verringerten sich in Österreich nach einem deutlichen Rückgang im Jahr 2013 auch 2014 nochmals um 0,2 Prozent (EU-28: +0,4 Prozent). Trotzdem ist die Lebenszufriedenheit der ÖsterreicherInnen im EU-Vergleich hoch: Auf einer Skala von 0 – überhaupt nicht zufrieden – bis 10 – vollkommen zufrieden – lag der Durchschnitt bei 7,8 (EU-28: 7,1). Das Gesamt-Fazit zur Studie des Statistik-Austria-Generaldirektors Konrad Pesendorfer: „Österreich geht es gut, sogar sehr gut, aber es hat an Schwung verloren, und die Dynamik hat in den letzten drei Jahren nachgelassen.“ Die Frage, die sich immer öfter stellt: Wie lange werden die ÖsterreicherInnen noch zufrieden sein. Schlüsselfaktoren dabei sind der materielle Wohlstand und damit auch die Themen Arbeitsplatzsicherheit und Bildung. Im Grunde hängt alles an der wirtschaftlichen Lage in den nächsten Jahren. Das Sparkassenmagazin hat renommierte Wirtschaftsforscher und Bankvorstände gefragt, wie sie die Entwicklung im nächsten Jahr einschätzen und was sich in Österreich ändern muss, damit das Land wieder in Fahrt kommt.

 

„Die Wettbewerbsfähigkeit hat abgenommen“

Prof. Christian Keuschnigg, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität St. Gallen, bemängelt die sinkende Wettbewerbsfähigkeit, die Steuerreform und die Arbeitszeitflexibilität. 

Prof. Christian Keuschnigg, Wirtschaftswissenschaftler Universität St. Gallen


Prof. 
Christian Keuschnigg,
Wirtschaftswissenschaftler
Universität St. Gallen

Was waren rückblickend die großen Probleme der österreichischen Wirtschaft im Jahr 2015?
Keuschnigg: Die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs gegenüber anderen Vergleichsländern in der EU hat stark abgenommen. Die Exporte nehmen weniger rasch zu und die Unternehmen üben sich in Investitionszurückhaltung. Vom Staat kann derzeit kein Anschub kommen und der Privatkonsum leidet unter der steigenden Steuerbelastung. Die Arbeitslosigkeit steigt, wir wachsen weniger und die Budgetkonsolidierung wird noch schwieriger.

2016 soll sich das Wirtschaftswachstum an das europäische Wachstum anpassen. Ist damit die Talsohle durchschritten?
Keuschnigg: Die Eurozone erholt sich langsam. In Österreich sehe ich aber nicht, dass sich die Wachstumslücke zu Deutschland schließen wird.

Ist eine Entspannung am Arbeitsmarkt zu erwarten?
Keuschnigg: Das erhöhte Wachstum wird den starken Anstieg einbremsen, aber die Arbeitslosigkeit wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen, denn die Wachstumsraten reichen für eine Trendumkehr bei weitem nicht aus.

Was muss passieren, damit Österreich nicht den Anschluss an die europäische Wirtschaft verliert?
Keuschnigg: Wir brauchen größere Reformen, die Zuversicht und Vertrauen schaffen. Auch die Sozialpartner sind gefordert, Lohnabschlüsse und Arbeitszeitflexibilität an dem auszurichten, was in einer Wirtschaft mit über 60 Prozent Exportanteil am BIP international verdient werden kann. Es gilt nicht nur hohe Löhne, sondern auch Jobsicherheit zu verhandeln.

 

„Wir brauchen wieder Perspektiven“

Gabriele Semmelrock-Werzer, Vorstandsdirektorin der Kärntner Sparkasse, über stagnierenden privaten Konsum, kurze Planungszeiträume und eine Altlastenbereinigung in Kärnten.

Gabriele Semmelrock-Werzer, Vorstandsdirektorin der Kärntner Sparkasse


Gabriele Semmelrock-Werzer,
Vorstandsdirektorin
der Kärntner Sparkasse

Wo hakt es derzeit in Österreich?
Semmelrock-Werzer: Nach wie vor ist kein deutlicher Aufschwung zu erkennen, auch wenn die Unternehmen positiver gestimmt sind. Das Exportgeschäft zieht an, das ist sehr erfreulich. Ich hoffe sehr, dass das Wachstum 2016 an Dynamik zulegt. Dass der private Konsum weiterhin stagniert, wundert mich nicht – die Mieten steigen, die Lebenshaltungskosten sind hoch. In Zeiten so großer politischer und makroökonomischer Unsicherheit muss man den Menschen – vor allem jungen Menschen – wieder Perspektiven bieten. Hier fehlen deutliche Impulse.

Warum leidet besonders die mittelständische Wirtschaft?
Semmelrock-Werzer: Was für die Wirtschaft extrem herausfordernd ist, sind die kurzen Planungszeiträume. Es gibt nur mehr sehr wenige Betriebe, die eine halbwegs stabile Jahresplanung machen können. Die meisten sind froh, wenn sich ihre Auftragsbücher zumindest auf ein halbes Jahr abschätzen lassen. Das wirkt sich natürlich auf Investitions- und Innovationsbereitschaft aus. Vor allem Unternehmen, deren Liquiditätspolster nicht so üppig ist, verhalten sich abwartend. So kann aber auch keine kraftvollere Dynamik entstehen.

Was wünschen Sie sich für 2016?
Semmelrock-Werzer: Kärnten hat ein sehr schweres Jahr hinter sich. Durch den finanziellen Engpass des Landeshaben alle Bereiche der Gesellschaft gelitten. Die Wirtschaft hätte einen kräftigen Wachstumsimpuls vertragen. Das war leider nicht möglich – sogar im Sozialbereich gab es Kürzungen bis zu 40 Prozent. Mein Wunsch an das Christkind wäre, dass wir die Altlasten zügig bereinigen können und es wieder aufwärts gehen kann.

 

„Wir haben ein mentales Problem: Zukunftsangst“

Franz Schellhorn, Chef der Denkfabrik Agenda Austria, über Reformstau, steigende Arbeitslosigkeit und mehr unternehmerische Freiheit.

Franz Schellhorn, Chef der Denkfabrik Agenda Austria
Franz Schellhorn,
Chef der Denkfabrik
Agenda Austria

Was läuft derzeit in Österreich schief?
Schellhorn: Das fundamentale Problem der heimischen Wirtschaft ist ein mentales: die um sich greifende Zukunftsangst. Ausgelöst durch einen jahrelangen Reformstau, der das Gefühl der Menschen verstärkt, dass hierzulande Probleme nicht gelöst, sondern konsequent verdrängt oder von der Regierung nur moderiert werden. Hinzu kommen stark steigende Arbeitskosten bei kaum wachsenden Haushaltseinkommen, ein nach wie vor viel zu starres Arbeitsrecht,
eine geradezu manische Überregulierung des gesamten menschlichen Handelns, eine geradezu paranoide Haltung gegenüber dem Freihandel (Stichwort TTIP), geschützte Dienstleistungsmärkte und kaum noch zu messende Produktivitätszuwächse.

Wird sich das Wirtschaftswachstum 2016 beschleunigen?
Schellhorn: Seit Jahren wird ein sich beschleunigender Aufschwung in Aussicht gestellt. Das Gegenteil ist der Fall. Österreich wird heuer zu den Ländern mit dem schwächsten Wirtschaftswachstum in ganz Europa zählen. Noch schlechter liegen nur Finnland und Griechenland. Treiber für einen sich fortsetzenden Abschwung scheinen derzeit leider in der Überzahl zu sein. Alle Hoffnungen ruhen auf den noch immer konkurrenzfähigen Teilen der Wirtschaft,
die jenseits der Grenze große Erfolge feiern.

Wird die Steuerreform 2015 für einen Anschub sorgen?
Schellhorn: Die Tarifsenkung ist richtig, wichtig und auch längst überfällig. Sie wird dem Binnenkonsum guttun. Die Frage ist, wie zuversichtlich die Menschen sind. Österreich braucht einen sanierten Staatshaushalt, der den BürgerInnen zeigt, dass der Staat seine Ausgaben im Griff hat. Andernfalls werden sie annehmen, dass die Steuersenkung von morgen die Steuererhöhung von übermorgen ist. Das ist kein gutes Umfeld für den Konsum, sondern eher für das „Angstsparen“. Um die Steuersenkung zu einem Erfolg zu machen, müsste die Regierung also noch an die öffentlichen Ausgaben rangehen. Um zu zeigen, dass die Entlastung der BürgerInnen auch eine echte ist. 

Wie müssen die Rahmenbedingungen für die heimische Wirtschaft optimiert werden, dass Österreich wieder Fahrt aufnimmt?
Schellhorn: Am wichtigsten ist es, die schlechte Stimmung zu drehen. Das schafft man aber nicht mit der Einführung einer Vier-Tage-Woche und dem Ausbau der bedarfsorientierten
Mindestsicherung, sondern mit Investitionen, die Jobs schaffen. Österreichs Regierung muss das Kapital umarmen, statt es systematisch aus dem Land zu treiben. Zudem braucht es wieder mehr unternehmerische Freiheit in diesem Land, nur so kann der Wirtschaftsstandort Österreich wieder an die Spitze gebracht werden. Wir brauchen wieder ein Regierungsspitze, die die Probleme nicht ignoriert, sondern löst. Und die etwas will mit diesem Land.

 

„Die Arbeitslosigkeit wird bis 2018 weiter steigen“

Marcus Scheiblecker, Stellvertretender Leiter des WIFO, über die Exportschwäche und eine stagnierende Wirtschaft bis 2020.

Marcus

Marcus Scheiblecker,
Stellvertretender Leiter
des WIFO

Was waren 2015 die Probleme der heimischen Wirtschaft?
Scheiblecker: Das schwache Wirtschaftswachstum resultiert nicht zuletzt auch aus einer Exportschwäche der heimischen Wirtschaft. Es gab einen starken Einbruch der Exporte nach Russland, keine steigende Exporte nach China, und auch die Deutschland-Ausfuhren schwächelten. Gerettet hat uns nur die Nachfrage aus den USA. Aber das hat alles nicht gereicht, um ein Ansteigen der Arbeitslosenzahlen zu verhindern.


Österreich verzeichnete 2015 die höchste Arbeitslosenrate seit dem Zweiten Weltkrieg. Wann wird die Arbeitslosigkeit in der Alpenrepublik wieder sinken?
Scheiblecker: Damit die Arbeitslosigkeit wieder sinkt, brauchen wir ein Wachstum von zwei Prozent, und das werden wir aus heutiger Sicht nicht vor 2020 erreichen. Wir gehen davon aus, dass die Arbeitslosenrate erst 2017/18 den Zehn-Prozent-Gipfel erreicht haben wird. Aber ein Sinken der Arbeitslosenrate ist derzeit für uns in den nächsten fünf Jahren nicht absehbar.

Bau schafft Arbeit. Werden die angekündigten Wohnbauoffensiven und Infrastrukturinvestitionen keine positiven Auswirkungen haben?
Scheiblecker: Hier rechnen wir mit positiven Effekten erst ab Ende 2016, doch insgesamt ist damit keine Trendumkehr zu schaffen. Wichtig wäre, dass auch die Exporte wieder anziehen. Das würde unserem Wachstum wieder auf die Beine helfen. 

Die Steuerreform soll zu einer Entlastung der BürgerInnen führen und auch die Binnennachfrage ankurbeln. Wie stark wird dieser Effekt sein?
Scheiblecker: Es wird einen positiven Effekt im nächsten Jahr geben, aber durch die verabschiedete Gegenfinanzierung ist dieser sehr gedämpft. Auch ist ein solcher Anschub nicht sehr nachhaltig. Hier hätte es andere und bessere Möglichkeiten gegeben.

Was muss passieren, um ein nachhaltiges Wachstum in Österreich zu gewährleisten?
Scheiblecker: Wir brauchen dringend Investitionen in Bildung und hier ganz besonders in vorschulische Bildung, denn das hat enorme Effekte. Zudem müssen die Förderung der Forschung und Innovationen wieder ganz oben auf der österreichischen Agenda stehen. Hier sind zwar nur langfristig positive Effekte zu erwarten. Fängt man aber jetzt nicht damit an, werden wir in zehn Jahren noch schlechter dastehen als heute.