Von Technologie und Globalisierung überholt und von rückläufigen Gehältern zermürbt, entschieden sich große Teile der US-amerikanischen Mittelklasse für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Der steht nun vor großen Herausforderungen.
"Die Schlote strecken sich wie die Arme Gottes in einen schönen Himmel aus Ruß und Ton“, singt Bruce Springsteen in seinem Song „Youngstown“. In Ohios ehemaliger Industriehochburg am Mahoning River erlebte die Mittelklasse Mitte des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit. Die schwere Arbeit wurde gut bezahlt, und die BewohnerInnen mieteten ihre Häuser nicht nur, sondern konnten es sich auch leisten, sie zu kaufen. „Ein Job, der dem Teufel gepasst hätte”, textet Springsteen, „aber er ernährte meine Kinder und mich.“ Heute sind die Stahlhütten und Kohleminen in Youngstown längst aufgelassen, viele davon bereits seit den 1970er-Jahren. Seit die Jobs verschwunden sind, ist die Luft wieder rein und Youngstown schafft es regelmäßig auf Bestenlisten, auf die keiner will: die höchste Armutskonzentration, die schnellste Abwanderung.
Die traditionell tiefen Wurzeln, die die Demokratische Partei in der Arbeiterschaft hat, reichten bei der Präsidentschaftswahl im November gerade noch für den Wahlbezirk von Youngstown. Für den Rest von Ohio war es zu spät: Zu lange hatten die Menschen im Fernsehen ein Leben gesehen, das sie selbst nicht führen konnten. Dass Hillary Clinton die wirtschaftlichen Ängste der ArbeiterInnen ernst nahm, kam bei diesen nicht an. Sie habe zu wenig über die Neuverhandlung von Handelsabkommen gesprochen oder wie es Amerika wieder an die Spitze schaffen sollte, analysierten ExpertInnen im Nachhinein. In vielen Wahlbezirken des sogenannten Rust Belts, in denen überwiegend weiße ArbeiterInnen wohnen, hatte Barack Obama noch haushoch gewonnen. Doch dieses Mal räumte Donald Trump ab: Er entschied nicht nur Ohio für sich, sondern auch Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. Gemeinsam mit 29 Wahlmännern aus Florida sicherte er sich damit den Weg zum Präsidentenamt.
DER LANGE ABSTIEG
Was die Hälfte der USA am Tag nach der Wahlentscheidung in eine Schockstarre versetzte, hatte sich unter der Oberfläche angekündigt. Als Alarmzeichen hätte gelten sollten, so rückblickende Erhebungen, dass WählerInnen im Rust Belt, die 2012 noch als DemokratInnen eingetragen waren, plötzlich bei den republikanischen Vorwahlen zur Urne gingen. Während sich die Medienberichterstattung auf haarsträubende Aussagen Trumps konzentrierte, hatten WählerInnen bereits ihre Entscheidung getroffen. Ihre Stimme war für viele ein Aufbegehren gegen eine aus ihrer Sicht politische Korrektheit, die ihre bisherige Lebenssituation nicht verbessert hatte. Die Lösung sollte sein, den Staat als Unternehmen zu führen, mit einem Mann an der Spitze, der auf den Tisch haut.
Insbesondere für Männer ohne Uniabschluss geht es in den USA schon länger abwärts. Die Globalisierung verlegte Industriejobs nach Übersee, zusätzlich sorgten neue Technologien dafür, dass die Produktion immer stärker von einer Serviceökonomie abgelöst wurde. Viele hatten die falsche Ausbildung für die neuen Zeiten, und wer seinen Job behielt, bekam kaum noch Lohnerhöhungen. Laut dem Center on Budget and Policy Priorities, einem Think-Tank, der die Folgen staatlicher Budgetpolitik untersucht, fiel der Einkommensmittelwert der Bevölkerungsgruppe weißer Männer ohne Hochschulabschluss in den letzten 40 Jahren um mehr als 20 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Rückgang von 45.000 Dollar Jahresgehalt Mitte der 70er-Jahre auf rund 37.000 Dollar im Jahr 2015. Letztere Zahl inkludiert bereits einen leichten Anstieg in der zweiten Hälfte von Obamas zweiter Amtszeit.
Umschulungen entspannen die Situation meist nur begrenzt. Neue Jobs gibt es zwar, doch die „new economy“ findet weit weg statt, in Städten wie Seattle oder Austin. Und auch dort gehen offene Stellen zuerst an Arbeitssuchende mit Uniabschluss.
REPUBLIKANISCHE VERÄNDERUNG
Als einzige Bundesstaaten des Mittleren Westens gingen Minnesota und Illinois an Hillary Clinton. Chicago, die größte Stadt der Region, ist eine der Hochburgen der Demokraten: Drei von vier ChicagoerInnen stimmten für Clinton. Monika, eine erfolgreiche Fotografin, ist eine von 440.000 Trump-WählerInnen in Chicago. Ihr Idealkandidat sei er nicht gewesen, „aber ich muss nicht mit allem, was er sagt, übereinstimmen“, erklärt sie. Zumindest die grundsätzliche Richtung stimme: „Jetzt haben wir einen republikanischen Kongress und das ist gut so.“
Als Selbstständige mit einem Jahreseinkommen von rund 70.000 Dollar fühlt sie sich allein gelassen: nicht arm genug, um Unterstützungen zu bekommen und nicht wohlhabend genug, um monatliche Ausgaben mit links zu bezahlen. Monikas größter Kritikpunkt: die hohen Kosten ihrer Krankenversicherung. Die einzige Option, die sich für sie unter Obamas Affordable Care Gesetz eigne, koste monatlich 550 Dollar, dazu käme ein jährlicher Selbstbehalt von 14.000 Dollar. Von Trump erhofft sie sich, dass er Krankenversicherungen erschwinglicher macht, etwa mittels einer Öffnung des Anbieter-Wettbewerbs über Bundesstaatengrenzen hinweg.
Entlasten sollen die Mittelklasse in den kommenden Jahren zunächst Steuernachlässe. Die Abgabenlast der „vergessenen Menschen, die das Land aufgebaut haben“, so Trump bei einer Wahlveranstaltung in Scranton, Pennsylvania, solle sich „massiv“ reduzieren. Dass auch er künftig mehr Steuern zahlen werde, kündigte Trump in einem Fernsehinterview an. Erste Analysen seiner Steuerpläne sprechen allerdings eine andere Sprache. So könnten nach überschlagsmäßigen Berechnungen Millionäre rund 300.000 Dollar weniger an Steuer bezahlen, während eine Familie mit zwei Kindern und einem Haushaltseinkommen von 50.000 Dollar nur um etwas mehr als 500 Dollar entlastet würde.
ALTE JOBS UND NEUE ZEITEN
Viele WählerInnen im Rust Belt überzeugte Trump mit seinem Versprechen, verlorene Industriejobs zurück ins Land zu holen. Doch außer seinen Ankündigungen, Handelsabkommen neu zu verhandeln, gab es während des Wahlkampfs kaum Konkretes. Wie vertrackt die Lage in manchen Bereichen ist, zeigt sich am Beispiel North Dakotas. Das Bakken Ölfeld im Westen des Bundesstaats, zählt zu den größten US-Erdölfunden der letzten 40 Jahre. Angezapft wurde Bakken mit Hilfe neuer Fracking-Technologien, und mit dem heraussprudelnden Öl machte sich in der Region eine Goldgräberstimmung breit. Jobsuchende kamen in Heerscharen, bereit im unwirtlichen Klima hart zu arbeiten – im Winter sinken die Temperaturen unter minus 20 Grad. In Minot, einem der Hauptorte des Booms, waren Mieten und Hotelzimmer mit einem Mal so teuer wie in den Großstädten. Der Absturz kam, als die Rohölpreise in den Keller sanken und die Ölfirmen zuerst begannen, neue Bohrungen aufzuschieben, und später MitarbeiterInnen freisetzten. Inwieweit Trumps Antwort auf Energiefragen Bakken helfen soll, ist unklar: Er will sich für Deregulierung einsetzen, um die Tür für noch mehr Fracking zu öffnen.
Kritiker von Trumps Versprechen verweisen darauf, dass das Land eigentlich ganz andere Veränderungen bräuchte, darunter zum Beispiel Unterstützungsprogamme, um Jobsuchenden einen Umzug in wirtschaftlich aussichtsreichere Regionen zu erleichtern. Auch müsse man sich darauf einstellen, dass neue Technologien, vor allem im Bereich Automation, noch viel mehr Jobs schlucken würden, eine Entwicklung, der man wenig vorbereitet gegenübersteht. Andere sind überzeugt, dass es nicht Mexiko oder China sei, das der US-Wirtschaft zu schaffen mache, sondern die Macht des Geldes, der immer weniger Schranken entgegengesetzt werden: eine Wirtschaft, die sich dem Private Equity und dem Ziel nach immer mehr Profit unterwirft. Autor William Serrin formuliert es in seinem Buch „Homestead: Glanz und Tragödie einer amerikanischen Stahlstadt“ so: „Amerika benutzt Dinge – Menschen, Rohstoffe, Städte –, um sie schließlich wegzuwerfen.“