Sparkassen Zeitung

Werte

"Wir müssen 1,4 Millionen Menschen auf die Digitalisierungs-Reise mitnehmen"

Ausgabe #6/2016 • Obdach

Valerie Höllinger, Geschäft sführerin des BFI Wien und Dietmar Kotras, General Manager von CSC Österreich über die Digitalisierung, mangelnde Ausbildung und das gefährliche Mittelfeld.

Sparkassenzeitung: Wird das Schreckgespenst Digitalisierung Ihrer Meinung nach wirklich so viele Jobs killen, wie uns derzeit alle glauben machen wollen?
Valerie Höllinger: Die Digitalisierung wird sicher Jobs kosten, aber gleichzeitig auch viele neue Jobs bringen. Das ist zum aktuellen Zeitpunkt einfach schwer abzuschätzen. Sicher ist aber, dass alle Jobs ein Upgrade erfahren werden. Fast jeder Arbeitsplatz wird in Zukunft eine Digitalkomponente haben und darauf müssen wir uns vorbereiten.
Dietmar Kotras: Laut WIFO werden 1,4 Millionen Arbeitnehmer in Österreich von der Digitalisierung betroff en sein. Und hier steckt nun auch das größte Risiko der Digitalisierung: Wir müssen diese Menschen an dieses Thema heranführen. Schaff en wir das, können wir zu den großen Profi teuren gehören, denn durch den steigenden Automatisierungs- und Vernetzungsgrad wird es natürlich spannender, Industrie und Produktion in Österreich zu halten.

Warum hinken wir hier in Österreich hinterher?
Höllinger: Ein Problem ist sicher, dass wir den Arbeitsmarkt nicht systematisch bearbeiten. Es gibt keine Pläne dafür, wo wir mit unserem Arbeitsmarkt in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren inhaltlich hinwollen. Es gibt noch immer keinen ausreichenden Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft und Interessensvertretungen.

Wird an der Wirtschaft vorbei ausgebildet?
Kotras: Es werden grundsätzlich wenige Menschen ausgebildet und gleichzeitig zu viele an der Wirtschaft vorbei. Schon heute haben wir einen massiven Engpass. Wir beobachten das auch im eigenen Unternehmen. Es fehlen vor allem Menschen mit einer hybriden Ausbildung, die fachliche und technische Kompetenz mitbringen und praxisorientiert denken.

Was sollte man heute als junger Mensch studieren, um in fünf Jahren einen Top-Job zu haben?
Höllinger: Im IT-Bereich hat man immer eine Zukunft . Dabei reicht das Spektrum vom Programmierer über den Systemintegrator bis hin zum Datascientisten. Besonders spannend sind für die Zukunft aber die von Herrn Kotras angesprochenen sogenannten Konvergenzbereiche. Technologie in Kombination mit einem anderen Fachbereich ist eine gute Ausgangsbasis für das, was auf uns zukommt. Grundsätzlich muss man aber in jeder Ausbildung die Tech-Skills weiter ausbauen.

Wir reden immer von der großen Bildungsreform, aber passieren tut nichts. Wo liegen die Probleme?
Höllinger: Die jahrzehntelange Diskussion resultiert aus meiner Sicht einfach aus einem politischen Hickhack. Das Problem sind nicht die Inhalte. Sondern die Zuständigkeiten in der Bildung sind auf Bund und Länder aufgeteilt und darüber wird man sich nicht einig. In Wirklichkeit braucht es – das ist ein sehr großes Th ema – eine Verfassungsreform, in der die Zuständigkeiten neu geregelt werden, und das macht es so kompliziert. Aber nur so können wir die Zuständigkeit klar regeln und deutlich schneller auch auf gesellschaft liche Veränderungen reagieren. Kotras: Beim Th ema Bildung muss man alle Bereiche miteinbeziehen. Vom Kindergarten über die Schule, über die Universitäten bis hin zur Weiterbildung im Erwachsenenalter. Grundsätzlich wird dem Th ema lebenslanges Lernen viel zu wenig Beachtung geschenkt und man denkt noch immer sehr viel in Schubladen. 1,4 Millionen Unselbstständige fi t für die Digitalisierung machen zu wollen, geht nicht anders als über lebenslanges Lernen.

Aber so schlecht sind die Österreicherinnen und Österreicher nicht ausgebildet. Noch spielen wir vorne mit.
Kotras: Aber Österreich verliert im internationalen Vergleich. Wir sind einfach zu langsam und ineffi zient geworden und das müssen wir schnell ändern, ansonsten verlieren wir komplett den Anschluss und landen im Mittelfeld.

Kann das Mittelfeld nicht auch schön sein?
Kotras: Für ein exportorientiertes Land wie Österreich ist das der Untergang und führt im nächsten Schritt zu einem weiteren Abrutschen. Das endet letztendlich in der Katastrophe.

CSC hat einige Studien gemacht zum  ema Digitalisierung in Unternehmen. Da zeigt sich, dass auch die heimischen Unternehmen nicht vorbereitet sind. Es hinkt also nicht nur der Staat hinterher?
Kotras: Die Studien sind ernüchternd. Deutschland und die Schweiz setzen sich im deutschsprachigen Raum immer mehr von Österreich ab. Gleichzeitig ist erstaunlich, dass 93 Prozent der Unternehmen zwar der Meinung sind, dass die Digitalisierung in absehbarer Zeit Auswirkungen auf ihr Geschäft haben wird, aber nicht einmal die Hälft e setzt sich mit diesen Auswirkungen aktiv auseinander.

Die Österreicher sagen sich also „schau ma mal“?
Kotras: Bei der Mehrheit ist es derzeit tatsächlich so und dabei haben wir viel Arbeit zu erledigen. Wie gehen wir mit selbstfahrenden Fahrzeugen um, was bedeutet die Digitalisierung für den Datenschutz und die Bürgerrechte? Einige wenige denken bereits darüber nach, aber es fehlt noch immer die breite Diskussion. Und viel Zeit haben wir nicht mehr. Die ersten selbstfahrenden Serien-Fahrzeuge werden sicher bis 2020 auf den Markt kommen.

Was wäre nun eine Lösung: Mehr Tablets und Computer in die Klassenzimmer und die Bildungsinstitutionen?
Höllinger: Nein, es geht nicht nur um technische Ausstattung und Ausbildung, sondern auch um Haltung. Wir müssen lernen nicht alles ungefi ltert zu übernehmen, was uns im Internet vorgesetzt wird. Über die vielen neuen digitalen Möglichkeiten hinaus dürfen wir zudem den Faktor Mensch nicht vergessen.

Kotras: Digitalisierung heißt auch, dass wir uns den ethischen, gesellschaft spolitischen und sozialpolitischen Fragen stellen müssen. Das Thema Digitalisierung ist wirklich mit der industriellen Revolution vergleichbar, die ebenfalls riesige Veränderungen mit sich brachte.