Sparkassen Zeitung

Werte

„Individualität ist das zentrale Element der jungen Generation“

Ausgabe #3/2017 • Next Generation

Jugendforscher Philipp Ikrath von der Trendagentur tfactory und dem Verein jugendkulturforschung.de über Vorbilder und Werte der heutigen Jugend und den Trend zur Individualisierung.

Sparkassenzeitung: Disruption ist derzeit in aller Munde. Sieht die heutige Jugend die ältere Generation überhaupt noch als Vorbild an?

Philipp Ikrath: Es ist kein geringer Teil, der sich die Kontinuität der Lebensweisen der älteren Generation nach wie vor wünscht. Die Frage ist vielmehr, welche Werte die Jugendlichen heutzutage anstreben. Die ist allerdings schwer zu beantworten, denn die Definitionen der einzelnen Werte verändern sich mit jeder Generation aufs Neue. Familie zum Beispiel ist ein Wert, der immer noch aktuell und wichtig ist. Doch während damit in der Elterngeneration die klassische Mutter-Vater-Kind-Familie gemeint war, schließt sie für Jugendliche heute auch homosexuelle Partnerschaften oder Patchwork-Familien mit ein.

An welchen Leitbildern orientiert sich die Jugend?

Ikrath: Die Jugendlichen müssen sich in erster Linie mit den wachsenden Herausforderungen der Gegenwart befassen – das setzt sie unter einen gewissen Druck. Es ist nicht einfach, da es eine große Auswahl an unterschiedlichen Leitbildern gibt. Im Gegensatz zu früher spielen Tradition, Politik und Religion keine große Rolle mehr. Was der Pfarrer in der Sonntagspredigt sagt, hat nur noch für sehr wenige Jugendliche eine Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Individualisierung um sich greift und junge Menschen viele Dinge für sich selber entscheiden müssen – und niemanden haben, an dem sie sich orientieren können.

Was hat sich bei der Einstellung zu Job und Arbeit in den letzten 20 Jahren verändert?

Ikrath: Wenn man es genau betrachtet, hat sich sehr wenig verändert. Das Bild in den Medien ist diesbezüglich verzerrt: Junge Leute, die ein Start-up gründen, sind nach wie vor in der Minderheit. Für die Mehrheit der jungen Erwachsenen zählen noch immer berufliche und finanzielle Sicherheit, ein geregeltes Einkommen und eine eindeutige Trennung zwischen Arbeit und Freizeit.

Welche Werte hat die junge Generation?

Ikrath: Die heutige Jugend ist zu vielfältig und zu unterschiedlich, als dass man klare Werte benennen könnte. Was jedoch alle gemein haben: Freunde und Freundschaft sind von großer Bedeutung, sie sind das verbindende Element – auch zwischen den Generationen. Oft wird bemängelt, dass es dank sozialer Plattformen nicht mehr um wahre Freundschaften gehe – sondern nur darum, wie viele Facebook-Freunde man hat. Das stimmt so jedoch nicht: Der Jugend ist sehr wohl bewusst, dass es sich dabei um virtuelle Freunde handelt. Sie nutzen die Plattform vor allem, um auf dem neuesten Stand zu sein und um zu netzwerken. Reale Freundschaften werden nach wie vor gepflegt und sind ihnen sehr wichtig.

Viele Familienunternehmen, die es seit Generationen gibt, finden keine NachfolgerInnen in der Familie. Geht man lieber eigene Wege als der Tradition zu folgen?

Ikrath: Individualität ist ein zentrales Element der jungen Generation, die weit autonomer ist als die Eltern und in vielen Bereichen des Lebens sehr pragmatisch denkt. Es geht um Selbstverwirklichung und darum, seine individuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Deshalb fragt man sich immer zuerst, was einem gewisse Handlungen und Entscheidungen bringen. Sieht man etwa in der Übernahme des Familienunternehmens keinen konkreten persönlichen Nutzen, sucht man sich lieber einen anderen Job. Die Jugend denkt vor allem in den Kategorien Gewinn versus Verlust.

Zählt der Wert der Tradition überhaupt noch?

Ikrath: Eigentlich nur noch in einem popkulturellen Zusammenhang. So zum Beispiel in Form des Lederhosen- und Dirndl-Trends bei all den zahlreichen Wiesenfeiern. Das hat aber natürlich nichts mit Tradition im klassischen Sinn zu tun. Schwer fassbare Begriffe wie Tradition haben für die heutige Jugend schlicht und einfach keine Bedeutung mehr. Es geht bei ihr um greifbare Dinge, um das, was man sieht.

Ist die berufliche Selbstständigkeit das neue Ideal?

Ikrath: Nur für die rund 15 bis 20 Prozent aller Jugendlichen, die das notwendige kulturelle Kapital haben, sich eine Selbstständigkeit auch zu trauen. Das sind vor allem Jugendliche aus dem urbanen Raum, die eine liberale Einstellung in Sachen berufliche Selbstständigkeit und Zeiteinteilung haben.

Spielt die soziale und gesellschaftliche Verantwortung noch eine Rolle, oder geht es in Richtung „Ego-Gesellschaft“?

Ikrath: Die Jugend von heute fühlt sich sich selbst am nächsten, und der persönliche Nutzen steht stets im Vordergrund. Wenn man dann einmal gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, spielt meist auch der Gedanke mit, dem Ego damit etwas Gutes zu tun. Man kann der Jugend in dieser Hinsicht aber keinen Vorwurf machen: Das sind Werte, die von Politik und Wirtschaft vermittelt werden – die Jugend orientiert sich nur an ihnen.

Was passiert mit jungen Menschen, wenn sie den neuen Idealen nicht gerecht werden?

Ikrath: Wenn man den Trend nach Individualisierung nicht mitmachen kann, kommt man zwangsläufig unter die Räder – und das führt bei den Jugendlichen zu großem Stress. Wer beruflich daneben greift, ist schnell draußen aus dem System.