Sparkassen Zeitung

Economy

„In der Wissenschaft ist das meiste Zufall“

Ausgabe #1/2016 • Wirtschaft, Region, Werte ... sind weiblich.

IN DER WISSENSCHAFT IST DAS MEISTE ZUFALL

Die Biochemikerin Renée Schroeder über ihre Definition von Erfolg, das Faszinierende an ihrer Arbeit und ihre Zukunft als Bergbäuerin.

SPARKASSENZEITUNG: FRAU SCHROEDER, SIE SIND EINE ERFOLGREICHE WISSENSCHAFTLERIN, WAS IST IHRE GANZ PERSÖNLICHE DEFINITION VON ERFOLG?
Renée Schroeder: Für mich selbst ist Erfolg, dass ich das tun kann, was mich wirklich begeistert. Frauen definieren Erfolg wahrscheinlich ganz anders als Männer. Frauen leben Erfolg, indem sie genau das tun, was sie wirklich gern machen. Männer sehen Erfolg in Machtpositionen, in denen sie Entscheidungen über andere treffen können. Die Lebensqualität ist jedoch oft niedrig. Sie sind oben und merken gar nicht, wie schlecht ihnen der Job tut.

WARUM IST ES FÜR FRAUEN BESONDERS SCHWER IN DIE WISSENSCHAFT ZU GEHEN?
Schroeder: Die Wissenschaft ist momentan in einer sehr schwierigen Situation, weil es sehr kompetitiv geworden ist. Momentan gibt es eine Exodusphase von wirklich kompetenten Leuten, weil die Finanzierung in den Grundlagenwissenschaften so schlecht ist. Früher hatte man noch eine langfristige Perspektive. Die Kurzfristigkeit kombiniert mit wenig Geld macht die Wissenschaft unattraktiv. Das alles macht es für Frauen mit Familie noch schwerer. Die Karrieren von Frauen laufen oft nicht linear. Ich denke aber, die Slalomfahrer haben ein viel spannenderes Leben als die, die den Hügel hinunterrasen. Die haben vieles vielleicht gar nicht wahrgenommen und kommen dann zu spät drauf, was sie verpasst haben. Ich möchte nicht erst am Ende des Lebens dort sein, ich möchte mein ganzes Leben lang wo gewesen sein.

SIE HABEN SICH FÜR DEN WEG ALS WISSENSCHAFTLERIN ENTSCHIEDEN. WARUM DAS?
Schroeder: Ich glaube, ich habe mich gar nicht entschieden. Das ist mir einfach passiert. Die Möglichkeit hat sich mir gestellt und ich habe zugegri en. Als ich jung war, hatte man keinen strategischen Plan. Karrieregespräche gab es überhaupt nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, dass es gut ist, dass es diese Dinge jetzt gibt. Man wird blind für alle anderen Möglichkeiten, die man hat.

WIE HAT SICH IHR WEITERER BERUFSWEG DANN ENTWICKELT?
Schroeder: Das Fach Chemie war für mich klar. Das ist das einzige Fach, das wirklich down to earth ist und wo man nicht mystisch herumtun muss. Es ist, wie es ist. Meine Familie kommt aus der Stahlbranche, da ist es immer um solide, reelle Sachen gegangen. Dann kam die Biochemie, und ich fand es sensationell, dass man die chemischen Prozesse des Lebens immer besser verstehen kann. Nach wie vor gibt es für mich kein spannenderes Thema. Und es tut sich immer noch mehr auf, es kommen immer neue Überraschungen.

STIMMT ES, DASS SIE BERUF UND PRIVATLEBEN NIE GETRENNT HABEN?
Schroeder: Das mache ich nach wie vor nicht. Man kann nicht einfach abschalten. Als meine Kinder klein waren, habe ich zuhause gearbeitet. Am Wochenende sind sie oft ins Labor mitgekommen. Das war lustig für sie. Mir war es wichtig, dass es nicht die Trennung gab: Die Arbeit ist das Böse und das Private ist das Gute. Ich wollte, dass meine Kinder  mitbekommen, wie gerne ich meine Arbeit mache. Dass es etwas Positives ist und nichts Belastendes. Dass es einfach Teil des Lebens ist.

EIN WICHTIGER TEIL IHRER ARBEIT BETRIFFT „DAS MOLEKÜL DES LEBENS“, DIE RIBONUKLEINSÄURE, ALSO RNA. WAS IST DAS FASZINIERENDE DARAN?
Schroeder: Eine Grundfrage, die mich immer sehr interessiert hat, ist, warum es die Bienenkönigin und die Arbeiterin gibt, obwohl beide die gleichen Gene haben. Heute weiß man, dass es epigenetisch gesteuert ist. Das ist Genexpression. Zuerst war man der Meinung, RNA ist ein reines Informationsmolekül. Aber es ist doch ganz anders. Es wurden immer mehr Facetten von diesem Molekül entdeckt und es ist immer spannender geworden. Zu der Zeit, in den Siebzigern, war es noch sehr schwierig mit RNA zu arbeiten, weil es sehr instabil ist. Und jetzt weiß man auch, dass man mit RNA Genome editieren kann. Es wächst also auch an Bedeutung.

SIE HABEN EINMAL GESAGT, IHR WELTBILD SEI NICHT FERTIG, ES ENTWICKLE SICH JEDEN TAG.
Schroeder: In der Wissenschaft ist das meiste Zufall. Man darf sich nie sicher sein, dass etwas so ist, wie man es annimmt. Man denkt immer neue Dinge und kommt auf neue Dinge drauf. Man bekommt ein schärferes Bild. Ich arbeite gerade an meinem dritten Buch und ich wusste am Anfang gar nicht, wo es hingeht. Ich schreibe und denke nach und dann wird es immer  schärfer und immer klarer. Das ist für mich Glück pur. Es ist spannend, wie das Buch sich entwickelt, denn da entwickle ich mich selbst und meine Gedanken auch. Doch Geld machen  kann man damit überhaupt nicht.

WENN WIR SCHON BEIM THEMA SIND: WELCHEN STELLENWERT HAT GELD FÜR SIE?
Schroeder: Geld ist ein Medium, um den Wert verschiedener Dinge, der vollkommen subjektiv ist, darzustellen. Früher hat der König garantiert, dass dieser Schein oder diese Münze einen bestimmten Wert hat. Heutzutage gibt es niemanden mehr, der das garantieren kann. So weit ich weiß, sind rund 95 Prozent des Geldes nur Zahlen im Internet. Eigentlich ist Geld nur ein Mittel, um Eigentum zu tauschen. Wir haben es aber jetzt verwendet, um Eigentum in Form von Geld auf der Bank zu speichern. Dafür ist es aber nicht gedacht und nicht geeignet. Früher hatte man das Geld zuhause. Heute gibt man es auf die Bank um Zinsen zu bekommen. Wenn es keine Zinsen mehr gibt, hält man es dann besser wieder zuhause?

WELCHE TRÄUME HABEN SIE? ALS KIND WOLLTEN SIE INS ALL FLIEGEN.
Schroeder: Das möchte ich heut immer noch, aber es ist wegen meiner Fitness nicht mehr realistisch. Ich bin in Brasilien aufgewachsen und die Nachricht, dass man jetzt ins All  iegen kann, hat mich damals fasziniert. Ich wäre gerne auf dem Mond. Die Betrachtung der Erde von der Ferne ist faszinierend. Ich schaue mir unheimlich gerne Satellitenbilder an. Es ist unglaublich, wie die Perspektive die Bedeutung mancher Dinge ändert. Heute träume ich nicht. Der Schlüssel vieler Dinge ist die Gegenwart, man muss das Jetzt viel mehr genießen und leben. Ich bin dreifache Großmutter und das ist sensationell. Ich habe mein Bauernhaus und meine Projekte. Ich schreibe meine Bücher, und ich spiele Saxophon. Ich bin so beschäftigt mit diesen Dingen, dass ich eigentlich keinen Plan habe.