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Wir bewegen uns auf einer Gratwanderung

Ausgabe #4/2018 • Daten

Der Philosoph und Kulturpublizist Konrad Paul Liessmann über den sorglosen Umgang mit privaten Daten, die Zukunft der Datensicherheit und warum alle Menschen eine exhibitionistische Ader haben.

Wenn es um Datensicherheit geht, werden immer wieder große Konzerne oder Staaten angeprangert. Aber sind wir nicht selber dafür verantwortlich, was wir von uns preis-
geben?

Konrad Paul Liessmann: Natürlich sind wir für unsere Daten selber verantwortlich und gehen auch freizügig damit um. Zum Teil tun wir das bewusst – denn wer auf seinem Facebook-Account intime Details preisgibt oder bei einem Online-Dienst einkauft, weiß, was er hier preisgegeben hat. Wir wissen aber oft nicht, was Suchmaschinen mit unseren Daten machen und was sie speichern. Hier liegt einiges im Argen. Man muss auch sagen, dass bestimmte Anbieter damit kokettieren, dass niemand die Verträge liest, die man unterschreibt. Es ist auch unzumutbar, dass Menschen ständig elendslange Verträge lesen. Wir leben in einer Kultur, in der man damit rechnet, dass wir nicht so genau wissen wollen, was mit unseren Daten geschieht. Ich glaube, dass es wenig hilft, zur Wachsamkeit aufzurufen – weil die Bequemlichkeit das ausschlaggebendere Argument ist.

Viele Menschen teilen ihre persönlichen Daten bereitwillig in sozialen Medien, mit Behörden oder Konzernen. Rechnen Sie damit, dass das Pendel bald wieder in eine andere Richtung ausschlagen wird und es zu einem Daten-Biedermeier kommt?

Liessmann: Ein sorgsamer Umgang mit der Privatsphäre hat noch nichts mit Biedermeier zu tun. Genauso wie das exhibitionistische Preisgeben von Daten für mich nichts mit Weltoffenheit zu tun hat – sonst wäre jeder Exhibitionist auch weltoffen. Wir verstehen Exhibitionismus in der Regel als Form von Belästigung und genauso kann man sich durch die Zurschaustellung privater und intimer Details in sozialen Medien belästigt fühlen, vor allem, wenn diese uns unverlangt und ohne Zustimmung erreichen. Sehr viele Menschen geben viel von sich preis, sie wissen aber auch, dass das Bild, das sie damit in den virtuellen Medien von sich produzieren, nicht mit der realen Existenz übereinstimmt. Im Internet sind wir alle Übertreibungskünstler. Trotzdem glaube ich, dass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen wird, weil es mittlerweile ein Übermaß an sozialer Medienaktivität gibt und man keine Lust mehr hat, sich jeden Tag Tausende von Bildern von irgendwelchen Menschen anzuschauen, die sich für wichtig genug halten, mich beeinflussen zu wollen.

Wir denken, dass uns die Digitalisierung mehr Freiheiten verschafft – aber schränkt sie uns nicht zeitgleich auch ein, indem sie uns Teile der Privatsphäre nimmt und unser Leben kontrollierbarer macht?

Liessmann: Man muss aufpassen, dass man nicht Freiheit mit Bequemlichkeit verwechselt. Denn durch die Digitalisierung ist vieles unglaublich einfach geworden, funktioniert durch ein Wischen oder Antippen: kommunizieren, informieren, einkaufen, sich mit jemandem verabreden, der Welt etwas von sich mitteilen. Zeitgleich wächst mit der Digitalisierung aber auch die Möglichkeit der Kontrolle, denn jede Aktivität im Netz hinterlässt eine beobachtbare und verfolgbare Spur.

In welcher Form findet diese Kontrolle statt?

Liessmann: Ein erster Schritt ist die Sammlung und Archivierung unserer Daten. Ich würde nicht sagen, dass dies an sich schon freiheitseinschränkend ist, aber potenziell sind wir dadurch auch kontrollierbar, da andere nun mehr von uns wissen, als uns lieb sein kann. In dem Moment, in dem meine Krankenversicherung erhöht wird, weil mein Versicherungsunternehmen aufgrund der Daten, die ich ihm übermittle, weiß, dass ich einen ungesunden Lebenswandel führe, werde ich wahrscheinlich nachdenklich werden. Wir bewegen uns auf einer Gratwanderung: Es gibt die Freiheitsoptionen, die durch die Digitalisierung zweifelsohne da sind – und zugleich gibt es die Kehrseite der Beobachtung, Kontrolle und letztlich Steuerung des Menschen.

Die Grundrechte und der Schutz vor dem Staat gelten als wichtigste Errungenschaften der Aufklärung. Doch viele Menschen gehen so freizügig damit um wie nie zuvor. Welche Rolle spielen die von Ihnen angesprochene Bequemlichkeit sowie die Tatsache, dass Daten durch die Digitalisierung schwer fassbar sind?

Liessmann: Man muss auch in Rechnung stellen, dass eine bestimmte Form von öffentlichem Auftreten früher nur in eingeschränkterem Maß möglich, aber für viele Menschen vielleicht schon eine Wunschvorstellung war. Wenn dem nicht so wäre, hätten Online-Plattformen nicht so einen Erfolg. Wir haben alle eine exhibitionistische Ader und wollen, dass die Welt von uns Kenntnis nimmt und wir von möglichst vielen Menschen Anerkennung bekommen.

Immer mehr Konzerne greifen auf unser Leben zu und erhalten unter anderem auch Gesundheitsdaten. Ist damit nicht die Grenze dessen, was wir als schützenswert erachten, überschritten?

Liessmann: Ich denke, dass sich das allmählich als Gewohnheit einschleichen wird. So etwas beginnt immer als freiwilliges Angebot, verbunden mit Vorteilen. Etwa, wenn mir ein Versicherungskonzern das Angebot macht, wenn ich meine Gesundheitsdaten übermittle, zahle ich eine geringere Prämie. Das wird man annehmen, weil wir preisbewusste Menschen sind. Aber wir wissen nicht, was passiert, wenn sich gewisse Parameter ändern. Etwa, wenn es plötzlich legal sein sollte, dass Versicherungen oder Krankenkassen Gesundheitsdaten an Arbeitgeber weitergeben dürfen und dann Mitarbeiter prophylaktisch gekündigt werden, weil ihre Gesundheitswerte nicht in Ordnung sind oder nicht der gerade herrschenden Gesundheitsmode entsprechen. Wir vergessen leider oft, was in der Logik dieser Daten liegt.

Worum handelt es sich bei dieser Logik?

Liessmann: Big Data bedeutet, dass nicht nur unglaubliche Datenmengen gesammelt werden, sondern auch, dass diese vernetzt und von bestimmten Algorithmen ausgewertet werden können, etwa um ein möglichst klares Profil meines Verhaltens und Denkens, meiner Einkaufs-, Kommunikations- und Reisegewohnheiten zu erstellen. Je dichter diese Daten vernetzt werden, umso stärker können Konzerne und Staaten damit arbeiten und versuchen, mein Leben zu beeinflussen und zu kontrollieren. Das fängt mit personalisierter Werbung harmlos an und endet bei dem Versuch, uns zu Abhängigen zu machen. Natürlich werden alle sagen, dass sei nur zu meinem Besten, man versuche ja nur, mein Verhalten in eine gesunde, sozialverträgliche und moralisch einwandfreie Richtung zu lenken. Dieses Prinzip des „Nudging“, des sanften Anstoßens, für dessen Formulierung sogar der Wirtschaftsnobelpreis an Richard Thaler vergeben wurde, lässt sich durch die Digitalisierung perfektionieren und wir merken gar nicht, wie wir schleichend einem Bevormundungssystem unterworfen werden. Ich würde deshalb für Wachsamkeit und bis zu einem gewissen Grad auch für Widerständigkeit plädieren. Ebenso für die Kraft, sich manchen Angeboten zu verweigern, auch wenn sie bequem erscheinen mögen.