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Economy

Wir haben eher eine psychologische als eine realwirtschaftliche Krise

Ausgabe #2/2016 • Sparkassen

"Wir haben eher eine psychologische als eine realwirtschaftliche Krise"

Ewald Nowotny, Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, und Thomas Uher, Vorstandsvorsitzender der Erste Bank Oesterreich, über Null-Zins-Politik, fehlende Investitionen der Unternehmen und die psychologische Krise der heimischen Wirtschaft.

HERR NOWOTNY, ANFANG MÄRZ IST DER LEITZINSSATZ DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK AUF NULL GESENKT WORDEN. WELCHE FOLGEN WIRD DIESE MASSNAHME HABEN?
Nowotny: Das schwache Wirtschaftswachstum und die niedrige Inflation machten diese Maßnahme notwendig. Wir haben verschiedene Formen der Liquiditätsversorgung eingesetzt, wie günstige Kredite an Banken, den groß angelegten Einkauf von Staatsanleihen und auch die negativen Zinsen für Bankeinlagen bei der EZB – die Banken bezahlen heute quasi eine Behaltegebühr für die Einlagen an die EZB. Damit konnte ein Abgleiten in eine Deflation und infolge eine Spirale nach unten verhindert werden.

HERR UHER, IST AUS SICHT EINER DER GRÖSSTEN HEIMISCHEN BANKEN DAS ZIEL DER EZB DAMIT ERREICHT WORDEN?
Uher: Uns als Bank hat dieser Schritt das Leben nicht gerade einfacher gemacht. Für Erste Bank und Sparkassen war Liquidität bisher einer der großen kompetitiven Vorteile. Wir haben immer sehr hohe Einlagen gehabt, und durch diese sehr großzügige Politik der EZB ist dieser Wettbewerbsvorteil beseitigt worden. Wir haben gelernt, auf geänderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Trotzdem glaube ich, dass die Geldpolitik mittlerweile an ihre Grenzen stößt und sich gleichzeitig nichts an der psychologischen Krise geändert hat.

WIR HABEN ALSO KEINE REALWIRTSCHAFTLICHE KRISE, SONDERN EINE PSyCHOLOGISCHE KRISE? Uher: Im Durchschnitt waren die Ergebnisse der österreichischen Unternehmen 2015 alles andere als schlecht. Das zeigt sich auch bei unseren sinkenden Risikokosten. Gleichzeitig wird trotzdem wenig investiert, dabei sind Kredite so günstig wie lange nicht. Das ist eindeutig ein Indiz für eine psychologische Krise. Die Zahl Null ist nicht sehr hoffnungsvoll, das trägt sicherlich zur Schwere der Krise bei. Ich bin überzeugt, dass wir mehr Investitionen hätten, wenn man die Zinsen um 1 Prozent anheben würde. Nowotny: Der psychologische Aspekt ist sehr ernst zu nehmen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Geldpolitik in manchen Bereichen stärker wirkt als in anderen. Der günstige Zins hat zum Beispiel den Wohnbau befeuert. Auch die Aufnahme privater Kredite ist im ersten Quartal 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2,4 Prozent gestiegen. Bei Unternehmenskrediten liegt das Wachstum nur bei 1,6 Prozent. Um aber die Investitionsquote der Unternehmen zu steigern, braucht es neben der Geldpolitik auch eine intelligente Fiskal- und Strukturpolitik.

DAS HEISST, IN DER STEUER- UND WIRTSCHAFTSPOLITIK HAT MAN DIE HAUSAUFGABEN NOCH NICHT GEMACHT?
Uher: Die Niedrigzins-Politik hatte zumindest den positiven Effekt, dass die Zinsaufwendungen der Staaten drastisch gesunken sind. Aber die frei werdenden Mittel werden von den Staaten nur wenig für vernünftige Investitionsprogramme, zum Beispiel in Bildung oder Infrastruktur, genutzt. Hier sind aus meiner Sicht noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Doch die heimische Politik muss das Zeitfenster nutzen, um diese außerordentliche Situation so schnell wie möglich zu beenden und wieder zu einer vernünftigen Zinskurve zurückzukehren. Das wäre gut für die Wirtschaft, die SparerInnen und die Pensionsvorsorge.
Nowotny: Wenn von drei Dingen zumindest eines funktioniert, sollte man nicht das Funktionierende abschaffen, sondern die anderen beiden Bereiche müssten nachziehen. In den USA hat man die Wirtschaftskrise deutlich schneller überwunden als in der Eurozone, aber die geldpolitischen Maßnahmen waren viel stärker von steuerpolitischen Impulsen flankiert. Dafür wurden aber auch höhere Defizite im Staatshaushalt in Kauf genommen. Fairerweise muss man aber auch dazu sagen, dass die USA anders als Europa einen einheitlichen Haushalt führen.

IST ALSO BALD MIT EINEM ANSTIEG DER ZINSEN ZU RECHNEN?
Nowotny: In der aktuellen Situation einer niedrigen Inflationsrate und einer niedrigen Wachstumsrate wäre es ein Schuss ins Knie, die Zinsen einfach aus psychologischen Gründen anzuheben. Wir können keine autonome Zinspolitik machen, sondern können das nur auf Basis einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung tun. Natürlich bereiten negative Zinsen – die zwar ökonomisch erklärbar sind – Unbehagen. Nur sind hier die Möglichkeiten der Notenbank begrenzt. Sobald sich in Europa eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage abzeichnet, wird die Europäische Zentralbank, so wie es heute bereits in den USA geschieht, eine Anhebung der Zinsen diskutieren.

DROHT EUROPA EIN äHNLICHES SCHICKSAL WIE JAPAN?  DAS WAR DAS ERSTE LAND, DAS AUF DER NULLZINS-LINIE  GELANDET IST, UND DIESER ZUSTAND HäLT NUN SCHON ÜBER 20 JAHRE AN. Nowotny: Genau davor haben wir Angst. Wobei, Japans Wirtschaftskreislauf ist sehr geschlossen, und da lässt sich eine solche ökonomische Situation einige Zeit durchstehen. In Europa würde eine solche Politik über einen längeren Zeitraum zu massiven sozialen Unruhen und schweren gesellschaftspolitischen Problemen führen. Daher müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, damit Europa wieder rasch zu einem selbstragenden Wachstum kommt.

WAS MÜSSTE AUS SICHT DER BANKEN JETZT PASSIEREN?
Uher: Wir brauchen endlich einen Stimmungsumschwung, und der wird sicher nicht damit erzielt, dass man Debatten über Registrierkassen führt. Auch bei der Steuerreform gab es keine positiven Impulse für Unternehmen. Ein kleiner Konsumeffekt ergibt sich aus den Steuererleichterungen für die BürgerInnen, aber es fehlen die großen Signale. Wir brauchen dringend Anreize für Investitionen.
Nowotny: Wenn die Nachfrage fehlt, wird auch nicht investiert werden. Die Exportnachfrage ist vorhanden, und wir haben einen Leistungsbilanzüberschuss, aber das reicht nicht. Was fehlt, ist die private Nachfrage. Hier hat die Steuerreform zwar einen Beitrag geleistet, aber ein Problem sind die stagnierenden Einkommen in Österreich. Zudem braucht es dringend Anreize für die Wirtschaft, um die Investitionslaune zu heben. Gute Ansätze wären eine Entbürokratisierung oder im vernünftigen sozialen Rahmen auch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Auch eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten mittels einer Umschichtung wäre möglich.

SOLLTE MAN NICHT EINFACH AUF DIE IN DEN MAASTRICHTVERTRäGEN VERANKERTE SCHULDENOBERGRENZE PFEIFEN UND MEHR INVESTIEREN?
Uher: Man muss gar nicht die Schuldenobergrenze überschreiten, denn durch die niedrigen Zinsen spart sich die Republik bis zu fünf Milliarden Euro an Zinszahlungen. Nur müsste man diese frei werdenden Mittel sinnvoll einsetzen und nicht Budgetlöcher damit stopfen.
Nowotny: Teilweise wurden diese Mittel in den letzten Jahren verwendet um die Verschuldungsrate der Republik zu senken. Aber natürlich haben die europäischen Sicherheitsmechanismen wie die Maastricht-Kriterien leider auch ihren Preis, und kurzfristig lässt sich das politisch auch nicht ändern.

ES GIBT JA DEN JUNCKER-PLAN, DER EUROPAWEIT INVESTITIONEN VON 300 MILLIARDEN EURO BRINGEN SOLL. WANN IST DAMIT ZU RECHNEN?
Nowotny: Langfristige Infrastrukturinvestitionen könnten einen wichtigen Impuls geben, aber das sind natürlich große Investitionen, und die haben eine entsprechend lange Vorbereitungszeit. Österreich hat auch eine Reihe von Projekten eingereicht, wie den Breitbandausbau. Ab Mitte des Jahres sollte man mit einigen Projekten in die Realisierungsphase kommen.
Uher: Aus meiner Sicht wären vor allem Investitionen in Bildung und Ausbildung ein Gebot der Stunde. Ich hoffe, dass auch dafür zusätzliche Mittel vorgesehen sind.

DIE SPARNEIGUNG DER ÖSTERREICHERINNEN IST DOCH UNGEBROCHEN HOCH?
Nowotny: Das Sparen hat sich in Österreich strukturell verändert. Nachdem die Differenz der Zinssätze für kurzfristige und langfristige Spareinlagen nur mehr gering ist, gehen die KundInnen keine langen Bindungsfristen mehr ein. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre eine längerfristige Bindung natürlich vernünftiger. Zudem wäre es wichtig, wenn der Kapitalmarkt in Österreich eine bedeutendere Rolle spielen würde. Nur: Österreich gehört zu jenen Ländern, wo die Vermögensbildung über Aktien traditionell sehr niedrig ist. Hier müsste man Barrieren überwinden.

LÄSST SICH AN DER WIENER BÖRSE ÜBERHAUPT NOCH GELD VERDIENEN?
Uher: Wichtig beim Geldverdienen an der Börse ist heute der richtige Mix an Wertpapieren. Die Politik hat in den letzten Jahren aber ein Aktien- engagement durch verschiedene steuerliche Maßnahmen wie eine Anhebung der Kapitalertragssteuer und die verlängerte Spekulationsfrist nicht gerade angetrieben. Das zeigt sich leider auch an den Aktienkursen des heimischen Kapitalmarkts.

DIE GELDVERMEHRUNG ÜBER ZINSERTRäGE IST ALSO VORBEI?
Nowotny: Das ja, aber aufgrund der niedrigen Inflationsrate entwertet sich das Geld auch nicht. Bei einer niedrigen oder negativen Inflation steigen im Grunde die Realzinsen. Mitte der Siebzigerjahre hatten wir einen negativen Realzins von bis zu minus fünf Prozent, weil die Inflationsrate an der Zehn-Prozent-Marke kratzte. Trotzdem haben sich die KundInnen gefreut, wenn sie bei einer Bank einen Sparbuchzins von fünf Prozent ausverhandelt hatten. Die KundInnen erlagen der Illusion, dass sie ein gutes Geschäft gemacht haben. Heute bekommen KundInnen kaum Zinsen am Sparbuch, aber durch die niedrige Inflation entwertet sich das Geld auch nicht. Trotzdem freut sich niemand darüber. Uher: Leider funktioniert Altersvorsorge nur bei positiven Zinsen, und damit unsere Vorsorgesysteme funktionieren, müssen wir rasch wieder zu positiven Zinsen kommen. Die niedrigen Zinsen sollten die KundInnen aber nutzen, um in Wohnraum zu investieren. Zum Beispiel ist derzeit ein zehn- bis fünzehnjähriger Fixzinskredit um rund zwei Prozent zu haben.

WANN KÖNNEN WIR WIEDER MIT EINEM POSITIVEN ZINSANSTIEG RECHNEN?
Nowotny: Theoretisch einfach, praktisch schwer. Theoretisch müsste die Inflationsrate einfach wieder anspringen, weil das Wachstum steigt, und daraus würde sich die Möglichkeit auf eine Zinsanhebung ableiten. In dieser Situation sind die USA, aber in Europa gibt es noch keinen Wachstums- und damit Inflationsanstieg. Damit brauchen wir auch noch nicht über eine Zinsanhebung diskutieren. Aber alle unsere Prognosen gehen davon aus, dass wir für dieses Jahr und für das Jahr 2017 doch ein deutlich positives Wachstum haben werden, und das ist schon mal sehr positiv.
Uher: Ich hoffe nur, dass es nicht mehrere Jahre dauern wird, bis die Zinsen wieder ein normaleres Niveau erreichen. Ein erster Anstieg 2017 ist ein Hoffnungsschimmer.