Sparkassen Zeitung

Werte

Der Hüter von 200 Jahren Sparkassengeschichte

Ausgabe #2/2019 • Die Zukunft des Zahlens

DIE IDENTITÄT VON ERSTE GROUP, ERSTE BANK UND SPARKASSEN GRÜNDET AUF EINER 200-JÄHRIGEN GESCHICHTE, DIE 1819 MIT DER AUSHÄNDIGUNG DES ERSTEN SPARBUCHS DURCH PFARRER WEBER AN DAS ZWÖLFJÄHRIGE MÄDCHEN NAMENS MARIE SCHWARZ IHREN ANFANG NAHM. AM ERSTE CAMPUS WIEN BEFINDET SICH DAS HISTORISCHE UNTERNEHMENSARCHIV „CORPORATE ARCHIVES DER ERSTE GROUP BANK AG“ – DAS GEDÄCHTNIS EINER MITTLERWEILE ZWEI JAHRHUNDERTE UMFASSENDEN UNTERNEHMENSHISTORIE. WIR SPRACHEN MIT ARCHIV-LEITER NORBERT BACHER, DER MASSGEBLICH AM AUFBAU DER ERSTE CORPORATE ARCHIVES BETEILIGT WAR, ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND ZUKÜNFTIGE HERAUSFORDERUNGEN.

Die Erste Corporate Archives befinden sich seit 2016 am Erste Campus. Wie entstand das neue Unternehmensarchiv und gab es davor schon etwas Vergleichbares?

Norbert Bacher: Jein. Zwar gab es auch in der Vergangenheit an unterschiedlichen Standorten kleinere Archive und Sammlungen, aber eben nichts Unternehmensübergreifendes. Ausgangspunkt für den Aufbau der Erste Corporate Archives war die zweite Hälfte der Nullerjahre, in denen unter Andreas Treichl ein sehr starkes historisches Bewusstsein entstanden ist. Es wurde erkannt, dass die Unternehmensgeschichte ein zentraler Wert ist und zu einer nachhaltigen Corporate Identity in der Sparkassengruppe beiträgt. Der Wunsch nach einem eigenen Unternehmensarchiv wurde infolge dessen immer größer. Nachdem ich mit meinem Team eine Machbarkeitsstudie durchgeführt habe, gab es 2011 den Auftrag, die Erste Corporate Archives aufzubauen. Dafür wurden Archivgüter aus 26 Standorten zusammengetragen – teils gut, oft aber auch ganz schlecht erhalten –, Inventarnummern vergeben und es wurde von Anfang an eine strategische Archivierung verfolgt, um die Übersiedlung in die heutigen Corporate Archives möglichst reibungslos zu bewerkstelligen und einen sofortigen dienstleistungsorientierten Betrieb sicherzustellen. Das kommt natürlich auch unserer offenen Unternehmenskultur zugute.

Welchem Zweck dienen die Erste Corporate Archives?

Bacher: Wir bezeichnen uns selber als Langzeitgedächtnis des Unternehmens. Vor allem geht es auch darum zu zeigen, was unsere Unternehmens-DNA ist. Wir fragen uns, wo wir herkommen und wo wir uns noch hinbewegen werden. Anhand von Gegenwarts- und Zukunftsfragensuchen wir historische Pfade, die wir – richtig aufbereitet – wieder in die Unternehmenskommunikation einspeisen können. Damit trägt das Unternehmensarchiv aktiv zur Identitätsbildung bei und wir können Alleinstellungsmerkmale schaffen, zum Beispiel hinsichtlich des gesellschaftlichen Engagements, das es immer schon in der Sparkassengruppe gegeben hat. „Banking the unbankable“ – dieser Anspruch ist schon immer in der DNA der österreichischen Sparkassen vorhanden.

Die richtige Lagerung der Archivalien ist besonders wichtig. Was muss getan werden, um die Geschichte der Sparkassengruppe auch für die Nachwelt zu erhalten?

Bacher: Für die physischen Materialien ist vor allem das Raumklima ausschlaggebend. Wir sind in der glücklichen Lage ein eigenes Fotoarchiv zu besitzen, in dem zum Beispiel konstant sechs bis acht Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von 30 Prozent herrschen. Für unser Schriftgut gibt es wiederum ganz andere Anforderungen. Übrigens beschriften wir unsere Kisten für die Archivierung immer und ausschließlich mit Bleistift, weil es bis heute das haltbarste Schreibmedium ist. Das schaffe ich weder mit Kugelschreiber oder Filzstift noch mit Barcodes, die sich nach einer bestimmten Zeit wieder von den Kisten lösen würden. Darüber hinaus führen wir im Haus auch konservatorische Maßnahmen durch, darunter die Beseitigung von Schimmelbefall an den Archivalien. Schon ein einziges Myzel wäre in unserem Langzeitarchivierungsraum eine Katastrophe, sollte es mal ein gravierendes Klimaproblem geben und Schimmelwachstum fördern. Ein weiteres wichtiges Thema ist der Aufbau unserer zentralen Datenbank, der nur im Team funktionieren kann und das Wissen für zukünftige Generationen sichert.

Beinahe täglich werden neue Objekte in die Sammlung aufgenommen. Welche Schätze zählen zu Ihren Lieblingsstücken?

Bacher: Für mich als Historiker ist diese Frage sehr schwer zu beantworten. Ich finde vor allem solche Stücke wichtig, anhand derer ich ein gutes Narrativ entwickeln und dieses in eine zielgruppengerechte Sprache übersetzen kann. Das geht zum Beispiel mit physischen Objekten viel besser. Im Gegensatz zu Unternehmensarchiven anderer Banken haben wir hier ein sehr großes Portfolio: Es gibt bei uns nicht nur Schriftgut, sondern zum Beispiel auch eine Sammlung von über 6.800 Sparbehelfen oder eine umfangreiche Plakatsammlung aus den 50er- und 60er-Jahren, die ich besonders mag. In Verbindung mit Filmen aus dieser Zeit kann man nicht nur sehr gut die Geschichte der Bank darstellen, sondern auch die Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung in Österreich zeigen. Auch als Nicht-Historiker kann man hier den Wandel von der damaligen Spar- zur heutigen Konsumgesellschaft gut nachvollziehen.

Erste Bank und Sparkassen feiern ihr 200-jähriges Bestehen. Welchen Beitrag leisten die Corporate Archives für die bereits absolvierten und noch kommenden Feierlichkeiten?

Bacher: Die erste Aufgabe war in unserer Unternehmens- DNA nach Spuren und Narrativen zu suchen, die im Prozess der 200-Jahr-Feierlichkeiten integriert werden können, anschlussfähig an die Gegenwart sind und sich für Publikationen, Filme et cetera eignen, um unsere Geschichte zu erzählen. In erster Linie haben wir Grundlagenforschung betrieben und unser Wissen in die diversen Projekte eingespeist. Insgesamt hat die Zusammenarbeit mit dem gesamten ‚200-Jahre-Team‘ bisher hervorragend funktioniert und unser Team von Corporate Archives konnte sich proaktiv einbringen. Hier wird in Zukunft noch mehr kommen.

Das Archiv steht allen MitarbeiterInnen offen. Können es auch außenstehende InteressentInnen besuchen? Bacher: Natürlich! Wir betreuen immer wieder und auch jetzt gerade einige Studierende, die zum Beispiel ihre Diplomarbeit schreiben. Sie können gerne unsere Bibliothek benutzen und sich auch zugängliche Materialien aus dem Archiv ausheben lassen. Immer unter der Prämisse, dass wir hier dem Datenschutz entsprechen. In Zukunft wollen wir das noch verstärken, in dem wir unsere Datenbank auch ins Internet bringen und öffentlich zugänglich machen. Neben Mitarbeiter-Führungen bieten wir gerne allen interessierten Besucherinnen und Besuchern des Campus Einblicke in unsere Corporate Archives an. Und unser Angebot wird genutzt: Wir haben auch viel nationalen und internationalen Besuch, im Herbst kommt etwa die European Association of Banking History, EABH.

Nur ein kleiner Teil des Schriftguts findet in der Bibliothek Platz. Der Rest wird bei optimalen Raum- und
Klimabedingungen im eigentlichen Unternehmensarchiv aufbewahrt.

 

FACTS

Die Erste Corporate Archives erstrecken sich auf insgesamt 1,6 linearen Laufkilometern. Bisher wurden über 78.700 Inventarnummern vergeben. Die Sammlung umfasst unter anderem:

  • Schriftgut/Urkunden/Dokumente: ca. 25.000
  • Foto/Film/Audio: ca. 31.800 (davon digitalisiert: ca. 17.500)
  • Plakate: ca. 900
  • Geldgeschichtliche Sammlung (Sparbehelfe, Spardosen): ca. 6.800
  • Bücher und Zeitschriften: ca. 7.000
  • Sonstige Objekte und Artefakte (von der Burroughs Rechenmaschine bis zu Architekturmodellen und Gemälden): ca. 7.200