Sparkassen Zeitung

Economy

Sparen und nicht geizen

Ausgabe #5 November/2020 • SPARSAMKEIT

DAS THEMA SPAREN IST AUFGRUND DER AKTUELLEN WIRTSCHAFTSKRISE UND DER NIEDRIGEN ZINSEN VÖLLIG AUS DER MODE GEKOMMEN. ABER DAS SPAREN DER VERGANGENEN JAHRE RETTET UNS DERZEIT. ANGESICHTS DES ÜBERBORDENDEN RESSOURCENVERBRAUCHS UNSERER WIRTSCHAFT IST DER BEGRIFF ZUDEM HEUTE SO MODERN WIE NOCH NIE.

Es ist fast schon eine Ironie der Geschichte: Mit Corona musste eine konservative Regierung in Österreich das Sparsamkeits-Dogma über Bord werfen und Milliarden in die heimische Wirtschaft pumpen. Die Pandemie reißt ein riesiges Loch in die Staatsfinanzen. Im 1. Halbjahr 2020 verzeichnete Österreich ein Defizit von 9,4 Prozent des BIP bzw. 16,8 Milliarden Euro. „Die Coronakrise beendet die Haushaltskonsolidierung“, kommentierte Statistik-AustriaGeneraldirektor Tobias Thomas erst vor Kurzem die Entwicklung. Grund für das massive Defizit war ein deutlicher Anstieg der krisenbedingten Ausgaben bei gleichzeitigem Rückgang insbesondere der Steuereinnahmen. „Die Schuldenquote stieg um 12,1 Prozentpunkte auf 82,6 Prozent. In den Jahren 2015 bis 2019 hatte Österreich die Staatsverschuldung von 84,9 auf 70,5 Prozent reduziert und sich damit dem Maastrichtkriterium von 60 Prozent angenähert“, so Thomas. Aber jetzt zu sparen wäre die falsche Antwort gewesen und hätte die österreichische Volkswirtschaft in eine noch größere Krise gestürzt. Zudem zeigt die Pandemie noch eine andere Seite: Österreichs Budgetdisziplin der vergangenen Jahre rettet uns heute. Bernd Spalt, CEO der Erste Group: „Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Hausaufgaben gemacht. Die Pandemie wird zwar die Staatsverschuldung wieder auf über 80 Prozent klettern lassen, aber wir haben noch Spielraum, um Milliarden-Pakete für die Wirtschaft zu verabschieden oder auch in unser Gesundheitssystem zu investieren.“ In Italien mit einer Staatsverschuldensquote von 137,6 Prozent oder Griechenland mit 176,7 Prozent ist diese Krise ein echtes Drama. Beide Volkswirtschaften wären ohne die großen EU-Hilfspakete früher oder später unter der Last der Corona-Folgen zusammengebrochen. An den richtigen Stellen und zur rechten Zeit zu sparen hat also Sinn gemacht.

SPAREN, EINE UNAMERIKANISCHE TUGEND

Vor hundert Jahren war Sparen eine hoch angesehene Tugend. Max Weber beschrieb sie als Teil der protestantischen Ethik, die den Kapitalismus hervorbrachte. Sparen war die Voraussetzung für umfangreiche Kapitalbildung. UnternehmerInnen finanzierten damit ihre Maschinen und Betriebe. Auf diesen Konsumverzicht waren die PuritanerInnen am besten vorbereitet, weil ihr Lebenssinn aus harter Arbeit, Anspruchslosigkeit und Selbstkontrolle bestand. Für den perfekten Berufsmenschen entwarf Benjamin Franklin das Motto: „A penny saved is a penny earned.“ Viele hielten sich daran. Arbeit und Kapital waren die Quellen des Reichtums des Industriezeitalters, nicht Konsum und Kredit. Der ehrbare Kaufmann bildete sein Rückgrat, gemeinsam mit der sparsamen Hausfrau an seiner Seite.

SPARSAMKEIT IST DAS BÜRGERLICHE RÜCKGRAT

Sparsamkeit war der Kern der bürgerlichen Identität. Noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts lernten die LeserInnen von Bildungsromanen wie Thomas Manns „Buddenbrooks“, dass ein Leben durch Spekulation, Schuldenmacherei und unbürgerliche Disziplinlosigkeit ruiniert werden kann. Auch die Sparkassen wurden aus  diesem Gedanken heraus vor über 200 Jahren mit der Absicht gegründet, auch ärmeren Bevölkerungsschichten den Zugang zu langfristiger, sicherer und festverzinslicher Vorsorge für die Wechselfälle des Lebens (Krankheit, Alter) zu bieten. In den USA schossen Saving Banks wie Pilze aus dem Boden und animierten die BürgerInnen zur langfristigen Kapitalbildung. Doch dann kam der Bruch: Die USA wandten sich von ihrer Sparethik ab und entwickelten eine exzessive Konsumkultur, die durch eine immer exzessivere Verschuldung finanziert wurde. Als Präsident Eisenhower 1958 gefragt wurde, was die Leute gegen die drohende Rezession tun sollten, antwortete er kurz: „buy“. Und auf die Nachfrage, was sie denn kaufen sollten, sagte Eisenhower: „anything“. Damit war der Keynesianismus auch bei den RepublikanerInnen angekommen. Die konservativen Industriellen hatten begriffen, dass Wachstum und Profit umso effektive r zu steigern sind, wenn man tugendhafte Sparer in hemmungslose Kreditnehmer verwandelt. Binnen kürzester Zeit schaltete die US-amerikanische Konsumindustrie um und bot den Haushalten Ratenkredite für den Kauf von Autos, Waschmaschinen oder Kühlschränken an. Mit Erfolg: Die USA eilten den EuropäerInnen beim Massenkonsum und Massenkredit weit voraus. Ende der Fünfzigerjahre schrieb die New York Times bereits: „Sparen ist unamerikanisch.“

ÖSTERREICHER_INNEN SIND SPARER_INNEN

Österreich wandelte sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Konsumgesellschaft, aber nicht so exzessiv wie die Vereinigten Staaten, und das Thema Sparen spielt noch immer eine große Rolle. Gerade im Krisenjahr 2020 wird, laut einer Imas-Umfrage im Auftrag der Erste Bank und Sparkassen unter 900 ÖsterreicherInnen, wieder vermehrt gespart. Der Sparbetrag liegt heuer bei 272 Euro im Monat, vor zehn Jahren waren es noch 165 Euro. Das Hauptmotiv für das Sparen ist laut Umfrage die „finanzielle Absicherung“. Trotz der Niedrigzinspolitik lassen die ÖsterreicherInnen ihr Erspartes nach wie vor bevorzugt auf dem Sparbuch liegen. 72 Prozent der Befragten verwenden das Sparbuch, gefolgt vom Bausparen (57) und Lebensversicherungen (42 Prozent).

MACHT SPAREN ÜBERHAUPT SINN?

Sparen ist eine herausragende Kulturleistung, die der Menschheit entscheidend dabei geholfen hat, voranzukommen. In der Agrargesellschaft, die bis vor zweieinhalb Jahrhunderten das Leben unserer Vorfahren bestimmte, gab es, der knappen Ressourcen wegen, kaum Chancen, für spätere Investitionen etwas auf die Seite zu legen. Die Familienverhältnisse waren darauf abgestellt, dass die Alten mehr schlecht als recht von den Jungen durchgefüttert wurden, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten. Bei Missernten und ähnlichen Katastrophen litt man Not. Es gab kaum eine Möglichkeit, seinem Schicksal zu entrinnen, weil man niemals in die Lage geriet so viel zur Seite zu legen, dass man in einer schlechten Phase davon leben konnte. Der allmählich vordringende Fortschritt eröffnete ganz langsam Chancen zu sparen, also Investitionskapital für die Zukunft zu schaffen. Damit war weit mehr getan als bloß die Sicherung der nackten Existenz nach einer schlechten Ernte: Es gab Wahlmöglichkeiten für das eigene Leben. Aber das Sparen hat auch einen darüberhinausgehenden Zweck: Mit dem Geld lässt sich durch Investitionen Neues schaffen.

DIE GRENZE ZWISCHEN SPAREN UND GEIZ

Hinter dem Spargedanken steckt die Erkenntnis, später etwas zu konsumieren. Der Geizige häuft nur Kapital an, um es zu bewahren. Selbst Apostel Paulus, ein wichtiger Ideologe des Christentums, konnte mit Geizigen wenig anfangen und meinte, dass der Geiz die Wurzel allen Übels sei. Jahrhunderte später setzte Augustinus, der das Christentum zu einer etablierten Religion gemacht hatte, noch einen drauf: „Der Geiz ist der Wahnsinn der Seele.“ Im siebten Jahrhundert nach Christus wurde die Habsucht nach dem Stolz sogar auf Platz zwei der sieben Todsünden gesetzt. Geiz und Sparen sind also zwei völlig verschiedene Welten. Zielgerichtetes Sparen schafft Werte – Habsucht ist hingegen pure Besitzstandswahrung, die nur auf den Erhalt des Status quo ausgerichtet ist.

WAS ZÄHLT, IST RICHTIGES SPAREN

Ein Problem der heimischen SparerInnen ist, dass sie noch immer zu viel Geld auf Sparbüchern lagern. Die Europäische Zentralbank (EZB) tastet seit 10. März 2016 den Leitzins nicht mehr an, sodass dieser weiterhin auf der NullLinie notiert. Das hat weitreichende Folgen: Zinsen an der Null-Linie bedeuten für Vorsorge- und Sparwillige pure Geldvernichtung. Trotzdem bunkern die ÖsterreicherInnen rund 260 Milliarden Euro auf Sparbüchern sowie Konten und verlieren damit jeden Monat Geld. In Österreich sind negative Realzinsen schon lange traurige Wirklichkeit. Zwischen 2011 und 2019 haben die ÖsterreicherInnen laut Expertenschätzungen auf Sparbüchern und Sparkonten, unter Berücksichtigung der Inflation, real 27 Milliarden Euro verloren und das trotz eines nominalen Zinsplus von rund zwölf Milliarden Euro. Wer heute also sinnvoll sparen und vorsorgen will, kommt an Wertpapieren nicht vorbei. Damit wird auch wieder der ursprüngliche Zweck von Sparen in den Mittelpunkt gerückt: Geld wird wieder investiert und ermöglicht Wachstum von Unternehmen, schafft Arbeitsplätze, es entsteht Neues.

SPAREN IST UMWELTSCHUTZ

Der überbordende Konsum ohne Sinn und Verstand kostet nicht nur Geld, sondern auch Ressourcen. Das bringt unseren Globus immer mehr an den Rand des Machbaren. Laut Global Footprint Network (GFN), einer von ExpertInnen gegründeten Umweltorganisation, war die Erde am 22. August 2020 erschöpft. Der von GFN berechnete „Erderschöpfungstag“ markiert jenen Zeitpunkt, an dem die Menschheit mehr natürliche Ressourcen in Anspruch genommen hat, als ökologische Kreisläufe binnen eines Jahres regenerieren können. Das bedeutet letztendlich, dass die Menschheit bereits ab dem 22. August auf Pump die natürlichen Ressourcen ausbeutet. Im Jahr 2000 fiel das Datum noch auf den 23. September. Von Jahr zu Jahr beansprucht die Menschheit noch mehr Ressourcen und das Datum des Erderschöpfungstages schiebt sich immer weiter nach vorn. Die Natur kann sich also nicht ausreichend erholen, um den weltweiten Ressourcenverbrauch zu kompensieren. Trotz Corona-Krise und wirtschaftlichem Einbruch im Jahr 2020 verbrauchen wir auch heuer wieder die Ressourcen von mehr als 1,5 Erden. Wer also spart, schafft nicht nur für sich selbst eine Vorsorge, sondern schützt den Planeten und gibt dem Nachwuchs eine Zukunft.