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Resilienz: Fit für die Krise

Ausgabe #2 Mai/2021 • RESILIENZ

DAS GEBOT DER STUNDE IST WIDERSTANDSKRAFT. DOCH WAS MACHT MENSCHEN, UNTERNEHMEN UND STAATEN STARK UND WIE BESTEHEN SIE GROSSE HERAUSFORDERUNGEN, WIE WIR SIE DERZEIT ERLEBEN? KÖNNEN WIR DARAUS LEHREN FÜR DIE ZUKUNFT ZIEHEN?

Ein Jahr Pandemie hat tiefe Spuren hinterlassen, in der Psyche der Menschen, in den Bilanzen der Unternehmen und in vielen Volkswirtschaften. Aber tagtäglich erleben wir, dass manche Menschen, Unternehmen und Staaten besser mit der Krise umgehen können als andere. Resilienz ist das Zauberwort. Ein sperriges Wort, das bis vor kurzem kaum jemand kannte. SozialwissenschaftlerInnen sprechen bereits vom „Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts“. Aber was heißt Resilienz eigentlich, was wird damit beschrieben?

VON DER PHYSIK ZUR ÖKONOMIE

Der Begriff stammt aus der Werkstoffphysik und beschreibt die Eigenschaft eines Materials, das nach Druckeinwirkung wieder in seine ursprüngliche Form zurückkehrt ohne Schaden zu nehmen. Der Begriff, der einen Zustand so genau auf den Punkt bringt, findet schnell AnhängerInnen in anderen Wissenschaften. In den 1970er-Jahren greift die Psychologie den Begriff auf und benutzt ihn für Kinder, die sich trotz schlechter Rahmenbedingungen normal entwickeln. Es folgten die Umweltwissenschaften, um Ökosysteme zu beschreiben, die sich nach Naturkatastrophen regenerieren. Einen Boom erlebte der Begriff im Zusammenhang mit belastenden Arbeitsbedingungen und Burnout-Diagnosen. Dabei wurde erforscht, was Menschen robuster, belastbarer und widerstandsfähiger macht.

VORSORGE IST BESSER ALS WIEDERAUFBAU

In der Medizin und der Psychologie weiß man schon lange, dass es sinnvoller ist, durch regelmäßige Checks und Stärkung der Abwehrkräfte die Gesundheit des Menschen zu erhalten, anstatt Körper und Geist nach einer schweren Erkrankung oder einem psychischen Zusammenbruch zu heilen. Das haben auch Unternehmens- und StaatenlenkerInnen erkannt, und internationale Organisationen wie die EU, die WHO und die Weltbank beschäftigen sich in unzähligen Strategiepapieren mit dem Thema Resilienz. In den vergangenen Jahren sickerte der Gedanke durch, dass wir in einer fortgeschrittenen globalen Risikogesellschaft leben, in der unzählige Gefahren lauern, die wir mitunter selbst geschaffen haben. Corona, Börsencrashs, Migration, Terror, Fanatismus, Populismus, Artensterben und der Klimawandel führen uns täglich vor Augen, dass unsere Welt kein sicherer Ort ist.

WAS ZEICHNET RESILIENTE MENSCHEN AUS

Die Widerstandskraft von Menschen ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Ein und dieselbe Aufgabe kann für den einen eine erdrückende Belastung sein, für den anderen ist sie eine willkommene Herausforderung. Eine Basisstudie der Resilienzforschung stammt von der US-Psychologin Emmy Werner, die über drei Jahrzehnte den Werdegang von rund 700 hawaiianischen Kindern des Jahrgangs 1955 erforschte. Etwa ein Drittel dieser Kinder wuchs in prekären Verhältnissen auf. Sie litten Hunger, wurden vernachlässigt oder misshandelt. Das prägte ihr Leben als Erwachsene – aber mit unterschiedlichen Ergebnissen. Einige verfielen dem Alkohol, waren verhaltensauffällig oder brachen die Schule ab. Überraschenderweise schaffte es ein knappes Drittel der Kinder, ihren schlechten Start unbeschadet zu überstehen. Sie entwickelten sich zu angesehenen Mitgliedern ihrer Gemeinden, manche von ihnen studierten sogar. Emmy Werner nannte sie „verletzlich, aber unbesiegbar“ – mit einem Wort: resilient. Ihre Erkenntnis aus der Studie: Es gab zumindest einen Menschen in ihrem Leben, der stets zu ihnen hielt. Ein Verwandter, eine Lehrerin, ein Bruder oder eine Schwester stand ihnen zur Seite, förderte sie, ließ sie spüren, dass sie etwas wert waren. Ein tragfähiges soziales Netz ist also ein zentraler Faktor für psychische Widerstandsfähigkeit. Aber auch Faktoren wie Intelligenz, die hilft kreative Wege aus der Krise zu finden, und Optimismus, der das Vertrauen schafft, dass sich alles zum Guten wendet, sind wichtig. Darüber hinaus bewahren sich resiliente Menschen ihre Handlungskraft. Sie sind davon überzeugt, dass sie ihr Leben aus eigener Kraft meistern können und suchen nicht nach Schuldigen, sondern nach einem Ausweg aus der Krise.

ERFOLGREICHE UNTERNEHMEN HABEN EIN KRISENTEAM

Das Thema Resilienz hat auch in die Wirtschaft Einzug gehalten. Immer mehr ManagerInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen beschäftigen sich damit, wie Unternehmen, angesichts der vielen ökonomischen Gefahren, widerstandsfähiger gemacht werden können. PwC Österreich hat sich mit der „Global Crisis Survey“ die Folgen der verheerendsten Krise unserer Zeit genauer angesehen und mehr als 2.800 Führungskräfte aus 29 Branchen und 73 Ländern – darunter auch zahlreiche Unternehmen aus Österreich – befragt, wie sie durch die Krise gekommen sind. Weltweit gaben mehr als 70 Prozent (68 Prozent in Österreich) der Befragten an, dass die Pandemie negative Auswirkungen auf ihr Unternehmen hatte. Bei 20 Prozent (25 Prozent in Österreich) zeigte sich, dass die Krise insgesamt einen positiven Einfluss auf ihre Geschäftstätigkeiten hatte. Am meisten profitiert haben Unternehmen im Technologie- und Gesundheitssektor, während die Reisebranche und das Gastgewerbe am stärksten mit den negativen Auswirkungen zu kämpfen hatten. Eines hatten laut PwC jene Unternehmen, die gut durch die Pandemie gekommen sind, gemein: Sie vertrauten auf ein etabliertes Krisenteam. Die Studie zeigt auch, dass bereits 2019 beachtliche 95 Prozent aller Befragten innerhalb der nächsten zwei Jahre mit einer Krise rechneten, die von den meisten aber nicht als Bedrohung eingestuft wurde. „Das vergangene Jahr verdeutlichte, dass die Herausforderung beim Krisenmanagement nicht darin liegt, die Zukunft vorherzusagen, sondern vielmehr darin, mit dem Unvorhersehbaren umgehen zu können.

Unternehmen müssen ihren Fokus auf den Aufbau einer grundlegenden Resilienz legen, um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein“, sagt Kristof Wabl, Forensics & Crisis Leader bei PwC Österreich, und fügt hinzu: „Nun sind alle Blicke auf die Zukunft gerichtet und Unternehmen sensibilisiert. Krisenplanung, Resilienzprogramme und die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Arbeitskräften spielen eine wichtige Rolle in der Vorbereitung auf das Unvermeidbare.“

KRISEN BRAUCHEN EINEN PLAN

Mehr als 32 Prozent aller TeilnehmerInnen an der aktuellen Umfrage gaben an, dass ihre Organisation zu Beginn der Covid-19-Pandemie über kein etabliertes Krisenteam verfügte. In Österreich schlitterte fast die Hälfte der Unternehmen ohne Krisenteam in eine Jahrhundertkrise. Doch selbst Unternehmen mit einem gut aufgestellten Krisenteam benötigen einen Plan, um angemessen auf Krisen und andere Zwischenfälle reagieren zu können. Auch hier zeigten sich Defizite: Nur 32 Prozent der heimischen Unternehmen hatten einen relevanten Krisenreaktionsplan. Die meisten Organisationen hatten also fehlerhafte oder nicht vollständig ausgearbeitete Pläne und konnten sie für die Corona-Pandemie daher nicht adaptieren und nutzen. „Eine Krise kann vielfach zu tragen kommen. Ein resilientes Unternehmen sollte agil agieren und sich verschiedenen Arten von Krisen flexibel anpassen können“, erklärt Christian Kurz, Director Forensic Technology Solutions bei PwC Österreich. Jene Unternehmen, die heute besser dastehen, gaben deutlich öfter an, dass sie sich in der Vergangenheit intensiv mit der Resilienz ihres Unternehmens befasst hatten. Während weltweit sieben von zehn Unternehmen höhere Investitionen in den Aufbau von Resilienzen planen, sind es in Österreich nur drei von zehn Unternehmen. Kurz: „Damit Resilienz Teil Ihrer organisatorischen DNA wird, müssen Sie ihr Priorität einräumen. Resilienz bildet die Basis dafür, wie ein Unternehmen Störungen trotzt und neue Möglichkeiten schafft. Gerade in Österreich ist hier noch viel Luft nach oben.“

ÖSTERREICH UNTER DEN TOP TEN

Auch bei den Volkswirtschaften gibt es große Unterschiede hinsichtlich ihrer Krisenresistenz. FM Global, einer der weltweit größten Industriesachversicherer, bewertet an-hand des jährlichen FM Global Resilience Index knapp 130 Länder und Regionen auf Grundlage der Ausfallsicherheit ihrer Unternehmen. Kevin Ingram, Executive Vice President und Chief Financial Officer bei FM Global: „Das Ranking eines Landes im Rahmen des FM Global Resilience Index 2020 lässt Rückschlüsse auf seine wirtschaftliche Erholung zu. So lässt sich besser einschätzen, wie schnell sich die hiesigen Unternehmen von den Auswirkungen des Coronavirus erholen können. Diese Aspekte sind wesentlich, wenn neue Standorte und Märkte bestimmt werden müssen oder über eine Erweiterung der Lieferketten nachgedacht wird. Dies sind überaus weitreichende Geschäftsentscheidungen.“ Die Länder und Regionen mit den höchsten Index-Ratings sind Norwegen, die Schweiz und Dänemark. Österreich befindet sich auf dem 8. Platz von 130 Ländern. Für Österreich spricht eine gut ausbalancierte Wirtschaftsstruktur mit einer niedrigen Arbeitslosenrate und einer tragfähigen öffentlichen sowie moderaten privaten Verschuldung. Das Wichtigste ist: Die heimischen Unternehmen blicken mehrheitlich zuversichtlich in die Zukunft, ein Faktor, der besonders stark macht.