Sparkassen Zeitung

Economy

„Die Sparkassenidee war schon immer eine sehr moderne Idee“

Ausgabe #5 November/2021 • WERTEWANDEL

GABRIELE SEMMELROCK-WERZER IST DIE NEUE FRAU AN DER SPITZE DES ÖSTERREICHISCHEN SPARKASSENVERBANDES. DIE VORSTANDSSPRECHERIN DER KÄRNTNER SPARKASSE HAT DAS AMT VON GERHARD FABISCH ÜBERNOMMEN UND SPRICHT IM INTERVIEW ÜBER IHRE AMBITIONEN ALS PRÄSIDENTIN, DAS SPANNUNGSVERHÄLTNIS VON NIEDRIGEN ZINSEN UND STEIGENDER INFLATION UND WARUM BARGELD NACH WIE VOR WICHTIG IST.

Frau Semmelrock-Werzer, wie sind Sie heute in den Tag gekommen und wie sieht Ihr üblicher Tagesablauf aus, falls es diesen überhaupt gibt?

Gabriele Semmelrock-Werzer: Üblicherweise beginne ich meinen Arbeitstag mit einem Kaffee. Schon immer habe ich mir beibehalten, erst um neun Uhr ins Büro zu kommen. Dafür bleibe ich aber auch länger am Abend. Da ich im Moment mein altes Haus renoviere und sich das schon länger hinzieht, versuche ich einiges bereits früh am Morgen zu erledigen, bevor ich mich an meinen Schreibtisch setze. In Wahrheit ist ab dann mein Arbeitstag ziemlich durchgetaktet. In Zukunft bin ich neugierig, wie ich die vielen neuen Themen im Zuge meiner Präsidentschaft in meinem Terminkalender unterbringen kann. Die meisten Jours fixes kann ich sehr gut über die digitalen Kanäle wahrnehmen – eine Entwicklung, die vor allem der Corona-Krise geschuldet ist. Wir haben mittlerweile alle gelernt mit MS Teams zu arbeiten und das ist eine große Erleichterung für mich. So kann ich auch tatsächlich besser terminliche Rückstaus vermeiden.

Sie übernehmen die Führung des Sparkassenverbandes inmitten einer Pandemie und zu einer Zeit, in der es keine Zinsen, dafür aber seit Jahren wieder eine spürbare Inflationsrate gibt. Zwei Parameter, die für die Kundinnen und Kunden der Sparkassen wesentliche Indizien für Spar- und Investitionsentscheidungen waren. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Semmelrock-Werzer: Das ist die Folge des von der EZB eingeschlagenen Kurses, mit möglichst niedrigen Zinsen die Wirtschaft zu stimulieren. Es hätte sich aber niemand vorstellen können, dass wir in eine Negativzins-Landschaft hineinkommen. Ich glaube, dass es vor allem im zentral-europäischen Raum schwieriger ist solche Anreize zu nutzen, weil die Menschen in einer Krise eigentlich dazu neigen zu sparen. Dann verleiten auch niedrige Zinsen nicht dazu Investitionen zu tätigen. Man merkt allerdings, dass es einen Anstieg an Investitionen in Sachwerte und Immobilien gibt. Auch wenn es in Europa länger als erwartet gedauert hat, sind natürlich in Folge die Immobilienpreise gestiegen. Vor allem bei den jungen Menschen sehen wir leider, dass sie sich trotz dieser niedrigen Zinsen die Schaffung von neuem Wohnraum eigentlich nicht leisten können und es für sie generell extrem schwierig geworden ist. Und natürlich zahlen die Sparerinnen und Sparer diese Rechnung. Wir befinden uns in einer schleichenden, langanhaltenden Phase der Geldentwertung und die Sparerinnen und Sparer kommen jetzt durch den Anstieg der Inflation unfreiwillig zum Handkuss. Vermögenserhalt ist mit einem Sparbuch nicht mehr möglich, ein Aufbau sowieso schon lange nicht mehr. Gerade im deutschsprachigen Raum, aber auch in Italien, gibt es eine sehr hohe Sparquote und die Sparerinnen und Sparer zahlen zusätzlich dafür, dass die Staaten sich in der Finanzkrise sehr hoch verschuldet haben und zusätzlich auch noch einmal in der Pandemie. Deshalb bin ich auch nicht sehr zuversichtlich, dass sich die Zinslandschaft so schnell ändern wird.

Fehlendes Finanzwissen tut hier sein Übriges. Erst vor Kurzem hat der Finanzminister seine neue Finanzbildungsstrategie vorgestellt. Glauben Sie, dass das Thema jetzt mehr Fahrt aufnimmt?

Semmelrock-Werzer: Das Gefühl habe ich schon und das ist auch dringend notwendig. Die Schulen haben es sehr lange verabsäumt sich mit Finanzbildung zu beschäftigen und so waren es vor allem die Banken, die den richtigen Umgang mit Geld überhaupt adressiert haben. Daher ist es wichtig, dass hier noch viel mehr passiert. Wir sehen, dass das Finanzwissen in Österreich und unter den Erwachsenen katastrophal unterentwickelt ist. Da gibt es wirklich noch sehr viel Aufholbedarf. Wenn wir über Finanzbildung reden, sprechen wir auch immer von Krediten und Veranlagung. Sowohl die Sparkassen als auch die Regierung haben die Verantwortung, die Menschen in die Lage zu versetzen, Vermögen aufbauen zu können. Und das geht im Moment nur mit einer gewissen Risikobereitschaft beim Kauf von Wertpapieren. Das müssen die Österreicherinnen und Österreicher sicher noch lernen. Wir sehen immer noch, dass trotz steigender Inflation Geldbeträge ungenutzt auf den Sparkonten liegen und im Laufe der Zeit immer mehr an Wert verlieren. Das wird immer noch allzu gerne hingenommen. Die Rolle der Banken muss hier wieder aufgewertet werden. Ich glaube dennoch, dass ein Sparbuch in Form eines Sparkontos nach wie vor seine Berechtigung hat, auch wenn das im Moment etwas kostet. Für kurzfristige Bedürfnisse kann ich jedem empfehlen, sich einen Liquiditätspuffer zu erhalten. Auch die Banken zahlen für ihre Liquidität. Das muss man einfach hinnehmen.

Trotz allgemeiner Krise sind die Sparkassen bisher gut durch die schwierige Zeit gekommen. Wie ist das in der Sparkassengruppe gelungen?

Semmelrock-Werzer: Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit vor eineinhalb Jahren, als die Pandemie plötzlich wirklich da war. Wir haben hier sehr schnell reagiert und der Verbandsvorstand hat beinahe tägliche Telefonkonferenzen mit den Sparkassenvorständinnen und -vorständen einberufen, um sie über die laufenden Entwicklungen und nächsten Schritte zu informieren. Während des gesamten ersten Lockdowns haben wir diese hohe Informationsfrequenz beibehalten und konnten uns so sehr gut österreichweit abstimmen, was wesentlich zur Beruhigung auch unserer Kundinnen und Kunden beigetragen hat. Wir haben so auch entscheiden können, die Filialen offenzuhalten. Bis auf ganz wenige Fälle, wo es ressourcenmäßig nicht möglich war, ist uns das auch landesweit gelungen. Das ist sehr gut bei unseren Kundinnen und Kunden, aber auch den Nicht-Kundinnen und -Kunden angekommen und hat zu viel positivem Feedback für die Sparkassen geführt. In den ersten Tagen des Lockdowns hat es einen richtigen Run auf die Geldautomaten gegeben. Durch die sehr gute Erreichbarkeit der Sparkassen und die Sicherstellung der Bargeldversorgung war aber schnell klar, dass Geld nicht gehamstert werden musste. Das war ein sehr wichtiges Signal und hat auch gezeigt, dass es sich diesmal nicht um eine Bankenkrise, sondern eine Gesundheitskrise handelt, bei der wir ein Teil der Lösung sind. Und diese Funktion behalten wir auch bei.

Sie kennen die österreichische Sparkassengruppe schon sehr lange und sind seit 2011 als Vorstandsdirektorin der Kärntner Sparkasse tätig. Was sind Ihre Ambitionen als neue Präsidentin und welche konkreten Schritte möchten Sie zu Beginn Ihrer Präsidentschaft setzen?

Semmelrock-Werzer: Zuerst einmal ist das Amt der Präsidentin mit einer großen Verantwortung gegenüber der gesamten Sparkassengruppe verbunden, die sehr divers aufgestellt ist. Mir ist es wichtig, die unterschiedlichen Anliegen der einzelnen Sparkassen möglichst gut zu vertreten und im Gesamtbild gute Lösungen für alle Mitgliedsinstitute zu finden. Das wird zwar nicht immer ganz einfach sein, aber in Summe haben wir alle eine gemeinsame DNA, die uns miteinander vereint. Ich freue mich besonders darauf, das Thema Diversität in seinen verschiedenen Facetten voranzutreiben. Die unterschiedlichen Menschen, die für uns in den Städten und in den Regionen arbeiten, sind ein besonderer Reichtum für uns als Gruppe und dafür möchte ich noch mehr Bewusstsein schaffen. Ein weiteres wichtiges Thema ist Nachhaltigkeit und ESG, an dem es kein Vorbeikommen mehr gibt. Ich bin wirklich überzeugt, dass das perfekt zu uns als Sparkassengruppe passt. Die Sparkassenidee war schon immer eine sehr moderne Idee und auf eine nachhaltige Entwicklung der Regionen und die dort lebenden Menschen ausgerichtet. Mich beeindruckt es sehr, wie diese Idee im Laufe der Jahre angepasst worden ist. Im Bereich Digitalisierung sind die Sparkassen mit George bereits Vorreiter. Diese Vorreiterrolle müssen wir auch für das Thema Nachhaltigkeit nutzen, denn es liegt auf der Hand, dass wir den respektvollen Umgang mit unseren Ressourcen weiter vorantreiben müssen.

Seit über 200 Jahren ergeben sich aus dem Gründungsauftrag der Sparkassen ganz konkrete Werte, die ihr Handeln bestimmen. Dazu zählen unter anderem Regionalität, Kundennähe und eine gemeinwohlorientierte Geschäftsausrichtung. Haben sich diese Werte auch in der schwierigen Phase, wie wir sie derzeit erleben, bewährt?

Semmelrock-Werzer: Zu 100 Prozent. Ich habe bemerkt, dass die Menschen das auch honorieren. Die Sparkassen haben eben nicht nur das Geld zur Verfügung gestellt, sondern waren für die Menschen als Ansprechpartner vor Ort da und sind auch proaktiv mit ihnen in Kontakt getreten. Unser Motto #glaubandich bildet eine Wertedimension ab, mit denen sich die Sparkassen tagtäglich befassen. Der respektvolle Umgang mit unseren Kundinnen und Kunden sowie unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehört hier dazu. Genauso wie unsere Verantwortung, dass unsere Finanzprodukte auch einen echten Vorteil für unsere Kundinnen und Kunden bieten sollen. Darüber hinaus reinvestieren die Sparkassen einen großen Teil des erwirtschafteten Gewinns wieder in die Region. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal im Bankensektor und kommt der nachhaltigen Entwicklung der Einzugsregionen der Sparkassen zugute. Manchmal wundere ich mich, warum eigentlich nicht alle Menschen Sparkassenkundinnen und -kunden sind (lacht).

Welche Werte sind für Sie persönlich besonders wichtig?

Semmelrock-Werzer: Mir sind Zuverlässigkeit und Authentizität wichtig. Man soll immer derjenige sein, der man wirklich ist, und nicht nur eine Rolle spielen. Auch der respektvolle Umgang mit den Menschen, der Natur und unserer Umwelt liegt mir sehr am Herzen.

Werte können sich im Laufe der Zeit ändern und besonders einschneidende Ereignisse wie zuletzt die Corona-Pandemie haben gezeigt, dass Themen wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung für die Kundinnenund Kunden immer wichtiger werden. Welche Rolle können hier die österreichischen Sparkassen übernehmen, um dem in der Gesellschaft wahrnehmbaren Wertewandel gerecht zu werden?

Semmelrock-Werzer: Unser Omni-Channel-Ansatz und das Thema Digitalisierung gehen Hand in Hand. Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden nicht dazu zwingen eine Form der Betreuung in Anspruch nehmen zu müssen, die sie noch nicht ganz verstehen. Andererseits nehmen sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel Zeit, um den Kundinnen und Kunden neue Services oder Applikationen zu erklären. Dadurch bekommen wir viel Zuspruch und unsere Kundinnen und Kunden werden nachhaltig digitaler und fühlen sich gut von uns verstanden. Trotzdem, und das passt zu unseren Werten, wissen unsere Kundinnen und Kunden, dass sie immer auch einen persönlichen Kontakt haben. Ansonsten könnten sie auch gleich zu Revolut oder N26 gehen. Für uns bleibt es wichtig, dass wir ein top Online-Banking haben, und es hilft uns, dass wir nach wie vor eine persönliche Beratung bieten und den Menschen nicht außen vor lassen. Deshalb finde ich es toll, dass George auch so eine starke persönliche Note hat und nicht irgendein weiteres Tool ist.

Trotz der voranschreitenden Digitalisierung, Pläne für einen digitalen Euro und Phänomene wie Bitcoin setzen die Österreicherinnen und Österreicher nach wie vor auf Bargeld. Der Sparkassenverband setzt sich weiterhin für Bargeld ein, auch wenn das bei den Banken hohe Kosten verursacht. Warum ist das so und was halten Sie von einer Bargeldobergrenze, die derzeit wieder in aller Munde ist?

Semmelrock-Werzer: Von einer Bargeldobergrenze halte ich gar nichts. Sie ist ein reines Instrument der Politik, um Steuerhinterziehung beziehungsweise Steuerschonung zu vermeiden und die Schattenwirtschaft einzudämmen. Vorgeschobene Argumente wie Geldwäsche oder Terrorfinanzierung finden meines Erachtens nicht mehr durch Bargeldtransaktionen statt. Eine Bargeldobergrenze hat nichts mit uns Banken zu tun und ist eine rein gesetzliche Steuerungsmaßnahme, die ich kritisch sehe. Ich sehe den Nutzen darin einfach nicht, außer dass wir besser überwacht werden können. Bargeld ist eine Kernkompetenz der Bank und diese sollte man auch nicht gänzlich abgeben. Ich wünsche mir, dass eigentlich nach wie vor jede Filiale eine Kasse hat, auch wenn sie mitunter nicht täglich verwendet wird, weil ich es nicht gerne sehe, wenn Kundinnen und Kunden beispielsweise ihr Geld in einem Supermarkt wechseln müssen. Dass sich die Wichtigkeit von Bargeld als Zahlungsmedium ändert, ist in Ordnung und wahrscheinlich auch in gewisser Weise eine Art Wertewandel. Vor allem volkswirtschaftlich wird Bargeld aber immer relevant bleiben. Denn Ausfälle von Online-Banking oder Bankomaten wird man nie zu 100 Prozent ausschließen können. Damit unsere Kundinnen und Kunden im Zweifelsfall nicht hungrig ins Bett gehen müssen, empfehlen wir immer, dass sie auch ein wenig Bargeld eingesteckt haben sollen. Man muss den Menschen einfach ein Zahlungsmittel zur Verfügung stellen, mit dem sie sich bewegen können. Alles andere ist absurd und daher hoffe ich, dass das Bargeld nie ganz abgeschafft werden kann.

 

^Gabriele Semmelrock-Werzer
Gabriele Semmelrock-Werzer
Foto: Studio Horst

ÜBER GABRIELE SEMMELROCK-WERZER

Gabriele Semmelrock-Werzer ist gebürtige Kärntnerin und kommt aus Pörtschach am Wörthersee. Sie besuchte die Wirtschaftsuniversität Wien, wechselte 1995 nach Stationen in der Chase Manhattan Bank AG in Wien und der Crédit Lyonnais AG Wien in die Erste Group Bank AG. Seit 2011 ist sie Vorstandsdirektorin und Sprecherin des Vorstandes der Kärntner Sparkasse AG.

Gabriele Semmelrock-Werzer wurde am 17. September 2021 von der außerordentlichen Vollversammlung einstimmig zur neuen Präsidentin des Österreichischen Sparkassenverbandes gewählt.

 

 

Foto: Daniel Waschnig