Sparkassen Zeitung

Economy

Spagat zwischen unternehmerischem Denken und sozialem Mehrwert

Ausgabe #5 November/2021 • WERTEWANDEL

SOCIAL ENTREPRENEURSHIP IST EIN UNTERNEHMENSMODELL, DAS ZUNEHMEND AN BEDEUTUNG GEWINNT UND EINE ECHTE ALTERNATIVE FÜR DIE ZUKUNFT BIETET, DA ES NICHT IN ERSTER LINIE EINE GEWINNMAXIMIERUNG ANSTREBT, SONDERN DIE LÖSUNG EINES GESELLSCHAFTLICHEN PROBLEMS.

atempo
atempo bietet leicht verständliche Ausbildungsangebote
für behinderte und benachteiligte Menschen zur Integration
am Arbeitsmarkt an.
Foto: atempo

Das Ziel vieler Start-ups ist es, Probleme der KundInnen durch neue, innovative Geschäftsmodelle zu lösen. Das gilt auch für Social Start-ups, die jedoch neben Kreativität und Innovationsgeist die nachhaltige Lösung gesellschaftlicher oder ökologischer Probleme in den Mittelpunkt stellen. Ihre Motivation ist, die Gesellschaft durch das eigene Verhalten und Wirtschaften zu verbessern. Eines dieser Social Start-ups ist atempo. Das Unternehmen entwickelt Produkte und Dienstleistungen, die das Leben von Menschen mit und ohne Behinderungen leichter machen. „Zum Beispiel helfen wir Firmen und Behörden dabei, besser verständlich zu informieren, sodass alle Menschen sie verstehen. Und wir machen einfach verständliche Ausbildungsangebote für behinderte und benachteiligte Menschen zur Integration am Arbeitsmarkt. Wir bilden die Menschen nicht nur aus, sondern unterstützen sie so lange, bis sie einen Arbeitsplatz gefunden und sich dort eingearbeitet haben“, erklärt Walburga Fröhlich, Geschäftsführerin von atempo. Die Idee zu atempo entstand aus der Unzufriedenheit heraus, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten viel zu wenig mitzureden haben in unserer Gesellschaft. „Für sie ist alles viel zu kompliziert, zu schnell, und viel zu oft bestimmen andere, was für sie das Beste ist. Das wollten wir ändern und die Welt ein bisschen besser machen, denn ein Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen ist für alle von Nutzen. Nur so wird unsere Gesellschaft menschlicher, mutiger und klüger“, so Fröhlich. Auch digitale Lösungen für soziale Herausforderungen rücken immer mehr in den gesellschaftlichen Vordergrund, denn digitale Tools machen Inklusion und Teilhabe in vielen Bereichen erst möglich. atempo setzt daher schon seit einigen Jahren auf die Digitalisierung, um eine soziale Wirkung zu erreichen und diese zu skalieren. „Unser Motto ist: Digital kann sozial. Als Beispiel für digitale Lösungen, die atempo entwickelt, kann ich capito digital nennen. Hier werden automatisiert Online-Texte auf ihre Verständlichkeit gecheckt und Tipps für das Vereinfachen von komplexen Informationen gegeben. Wir entwickeln gerade eine Künstliche Intelligenz, die automatisiert komplexe Informationen in leicht verständliche Sprache übertragen kann“, so Fröhlich.


PASSENDE BETREUUNGSKRAFT
Harmony & Care hat sich zum Ziel gesetzt, als „Partnerbörse“ Pflegebedürftige mit den passenden Betreuungskräften zusammenzubringen und damit einen harmonischen Beitrag zur 24-Stunden-Betreuung zu leisten.

Harmony & Care hat sich seit 2017 zum Ziel gesetzt, Pflegebedürftige mit den passenden Betreuungskräften zusammenzubringen. Begonnen hat alles mit einem wissenschaftlichen Projekt, der Studie „Psychologische Tests und ihre Anwendung im Pflegebereich“. Das Ergebnis neben der Unternehmensgründung stellt eine eigens entwickelte Software-Plattform für Pflegeagenturen dar. Im Zentrum steht ein wissenschaftlich fundiertes Matching-Verfahren, das soziale Kompetenzen, Interessen und Neigungen sowohl von den PflegerInnen als auch von den Betroffenen abfragt und abgleicht – das sogenannte „Harmony & Care System“. Dieses System als „Partnerbörse“ zwischen Pflegebedürftigen und PflegerInnen sorgt für die passende Betreuungskraft und liefert somit einen harmonischen Beitrag zur 24-Stunden-Betreuung. „Dabei matcht diese innovative Software-Plattform basierend auf wissenschaftlich fundierten Fragebögen Betreuungskräfte und Pflegebedürftige unter fachlichen und vor allem menschlichen Gesichtspunkten. Der ‚Harmony Check‘ als Rückgrat der Software umfasst einen sozialpsychologischen Fragebogen, der weiche Faktoren wie soziale Kompetenzen, Interessen oder persönliche Neigungen in den Mittelpunkt stellt“, erklärt Anja Silberbauer, Geschäftsführerin von Harmony & Care. Der Persönlichkeitstest wird digital einerseits von den Pflegebedürftigen bzw. deren Angehörigen und andererseits auch von den Betreuungskräften ausgefüllt. Die anschließende Analyse und Auswertung erfolgt mittels spezieller Algorithmen basierend auf psychologischen Profildaten. Diese Vorgehensweise führt aufgrund der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Methodik dazu, dass Pflegepersonal und Pflegebedürftige gut zusammenpassen und damit die Wahrscheinlichkeit eines Pflegepersonalwechsels, im Vergleich zu klassischen Vermittlungsservices, um bis zu 80 Prozent verringert wird. Das spürbare Ergebnis dabei ist weniger Stress und eine höhere Zufriedenheit bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. „Für die Zukunft haben wir uns vorgenommen, Spezialist in Digitalisierungsthematiken mit der hochaltrigen Bevölkerung zu sein und neue, innovative Produkte zum Wohle dieser Bevölkerungsgruppe und ihrer Angehörigen zu entwickeln“, so Silberbauer.

 

SOZIAL-ÖKOLOGISCHE WIRKUNG

RUSZ
Das Reparatur- und Service-Zentrum R.U.S.Z ist nicht
nur ein Pionierbetrieb der Kreislaufwirtschaft, sondern bildet
auch ehemals langzeitarbeitslose
MechatronikerInnen zu FachexpertInnen aus.
Foto: R.U.S.Z

Das Reparatur- und Service-Zentrum R.U.S.Z ist ein Pionierbetrieb der Kreislaufwirtschaft. Das Unternehmen erbringt einen Mehrwert für das Gemeinwesen auf sozialer und ökologischer Ebene durch die unbefristete Beschäftigung von ehemals langzeitarbeitslosen MechatronikerInnen, die zu FachexpertInnen ausgebildet werden. Durch die Verlängerung der Nutzungsdauer von Konsumgütern leistet R.U.S.Z einen wesentlichen Beitrag zur Ressourcenschonung. „Als Gründer, Inhaber und Geschäftsführer eines sozialen, gemeinwohlorientierten Unternehmens habe ich vor 22 Jahren die Lösung einer gesellschaftlichen Herausforderung zu meinem Geschäftsmodell gemacht. Die sozial-ökologische Wirkung von R.U.S.Z geht weit über die betrieblichen Beiträge zur Verlängerung der Produktlebensdauer von Elektro- und Elektronikgeräten – und damit zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz – hinaus. Nutznießerinnen und Nutznießer sind vor allem die nächsten Generationen“, erklärt Sepp Eisenriegler, Geschäftsführer von R.U.S.Z. Das Unternehmen ist ein privates Social Business und neben dem täglichen Reparaturservice auch ein Zentrum für Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit. „Wir betreiben Österreichs größtes Re-Use-Zentrum für Haushaltsgroßgeräte und bieten ein wöchentliches Reparatur-Café an, um den neuen Statussymbolen einer wachsenden nachhaltigen Konsum-Minderheit gerecht zu werden und niemanden zurückzulassen. R.U.S.Z hat das ReparaturNetzWerk Wien gegründet, einen Zusammenschluss aller seriösen Reparaturbetriebe im Großraum Wien“, so Eisenriegler. Derzeit ist R.U.S.Z für die Verlängerung der Nutzungsdauer von rund 9.000 Elektrogeräten pro Jahr in Wien verantwortlich und leistet dadurch einen Beitrag zum Klimaschutz, denn über 50 Prozent der gesamten Umweltbelastung im Leben von Haushaltsgeräten werden durch Produktion und Distribution verursacht.

 

LERNHILFE-PLATTFORM

talentify
talentify.me bietet als Non-Profit-Bildungsnetzwerk
mittels einer Onlineplattform von SchülerInnen für
SchülerInnen eine Alternative zur klassischen Nachhilfe
und fördert gezielt Talente.
Foto: talentify.me

talentify.me ist ein Non-Profit-Bildungsnetzwerk mit Sitz in Tulln an der Donau, das mittels einer Onlineplattform die Lernhilfe von SchülerInnen für SchülerInnen österreichweit unterstützt und gezielt Talente fördert. Durch die Lernhilfe zwischen Jugendlichen werden soziale Kompetenzen entwickelt. Ältere SchülerInnen fungieren dabei als Vorbilder und Inhalte werden dank „Lernen auf Augenhöhe“ besser vermittelt. talentify.me bietet so auch eine Alternative zur klassischen Nachhilfe – vor allem für die, die es sich sonst nicht leisten können. Ziel ist es, ein nachhaltiges Peer-to-Peer-Onlinenetzwerk zu etablieren, das jungen Menschen dabei hilft, ihr volles Potenzial zu entfalten, unabhängig vom sozialen oder finanziellen Hintergrund der Eltern. Ein weiterer wichtiger Aspekt von talentify.me ist die berufliche Orientierung der Jugendlichen. „Wir schlagen eine Brücke zwischen Jugendlichen und Unternehmen, denn viele Jugendliche sind sich nicht darüber im Klaren, worin ihre Interessen und Stärken liegen und welche Möglichkeiten es nach der (Pflicht-)Schule gibt“, erklärt Bernhard Hofer, CEO von talentify.me. Unternehmen wiederum wissen oft nicht genau, wie sie Jobangebote jugendgerecht kommunizieren sollen und wie sie die richtigen Talente finden können. „Hier kommen wir ins Spiel, denn wir unterstützen Betriebe beim Recruiting junger Talente im Hinblick auf Lehrstellen, Praktika und Berufseinsteiger-Positionen. Der Fokus liegt dabei auf der frühzeitigen Bewusstseinsbildung bei Jugendlichen für Berufsbilder und Unternehmen. Zusätzlich können sich die Jugendlichen auf unserer Plattform Insider-Tipps von anderen Lehrlingen holen und werden somit bei der Berufsorientierung unterstützt“, so Hofer. Neben Österreich war die Expansion nach Deutschland (Berlin) im vergangenen Jahr für das Unternehmen ein wichtiger Schritt. Ziel ist es nun die Kooperationen mit Schulen zu vertiefen und talentify.me erfolgreich an Berlins Schulen zu etablieren. Auch die Zusammenarbeit mit Ausbildungsbetrieben und Organisationen ist im Hinblick auf die Bewusstseinsbildung für Perspektiven und Möglichkeiten für Jugendliche besonders wichtig.

 

ZEITKONTO FÜR BETREUUNG

Zeitkonto
Zeitpolster erbringt Betreuungsleistungen für ältere
Menschen, Menschen mit Behinderung und Kinder.
Für eine Stunde Betreuung wird den Helfenden
eine Stunde auf einem Zeitkonto gutgeschrieben.
Foto: Zeitpolster/Ingrid Delacher

Die Idee ist schon lange vor der Gründung im Jahr 2018 entstanden. In verschiedenen Projekten und privaten Zusammenhängen wurde die Notwendigkeit Betreuungsleistungen neu zu organisieren sichtbar. „Die Generation, die unseren Wohlstand aufgebaut hat, soll nicht allein gelassen werden. Gleichzeitig gibt es immer mehr fitte Seniorinnen und Senioren, die sich einbringen können“, erklärt Gernot Jochum-Müller, Gründer von Zeitpolster. Zeitpolster ist eine österreichweit aktive Organisation und ein Dach für viele Freiwilligengruppen, die Betreuungsleistungen für ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und Kinder bieten. „Diese lokalen Teams schulen wir und statten sie mit allem aus, was sie brauchen. Beispielsweise mit Unterlagen, Werbemitteln und Versicherung für alle Helfenden. Für eine Stunde Betreuung wird den Helfenden eine Stunde am Zeitkonto gutgeschrieben. Diese Zeit kann später bei eigenem Bedarf eingelöst werden. Für die Betreuten kostet die Stunde nur acht Euro. Die Hälfte davon legen wir in einen Notfalltopf. Wenn eine Helferin in 20 Jahren Hilfe braucht und es findet sich niemand, hat diese zum Beispiel schon 4.000 Euro aus dem Notfallkonto zur Verfügung, um damit andere Betreuungsleistungen zu kaufen. So sichern wir die Leistungen über Generationen ab“, so Jochum-Müller.

 

INNOVATIVE ERNTETECHNIK

Organic Tools
Am Beginn des Start-ups Organic Tools stand der
Wunsch, ein Gerät zu entwickeln, das für die Ernte
von Verarbeitungsobst auf Streuobstwiesen optimiert ist.
Foto: Patrick Taferner

Als Berater für extensiven Obstbau war David Brunmayr damit konfrontiert, dass zwei Drittel des Obstes von Streuobstwiesen nicht genutzt wurden. Ein zentraler Faktor dabei ist die mühsame Ernte, verbunden mit einem niedrigen Obstpreis. Erntetechnik ist kaum verbreitet, da die am Markt verfügbaren Geräte nicht den Anforderungen der Ernte auf den vielfältigen Streuobstwiesen entsprechen. „Am Beginn unseres Projektes stand deshalb der Wunsch, ein Gerät zu entwickeln, das für die Ernte von Verarbeitungsobst auf Streuobstwiesen optimiert ist. Die Obsternte muss sich wieder auszahlen und die Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter sollen beim Obstklauben mehr Freude und kein Kreuzweh haben“, erklärt Organic-Tools-Co-Founder David Brunmayr. Gegründet 2018 in Wien, startete das Start-up von David Brunmayr, Stefan Bermadinger und Lukas Griesbacher mit der klaren Vision, neben dem betriebswirtschaftlichen Erfolg auch positive Wirkungen auf Natur und Gesellschaft als Kernpfeiler des Unternehmens zu etablieren. Zu Beginn lag der Fokus auf der Entwicklung und dem Vertrieb des innovativen Erntegerätes Obstraupe, durch dessen Einsatz die Wirtschaftlichkeit von Streuobst erhöht und so ein Beitrag für die nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung ökologisch wertvoller und stark gefährdeter Streuobstwiesen (Rote Liste 2) geleistet wird. Brunmayr: „2019 haben wir zudem das zweite Produkt, das Sortier!, erstmals produziert und verkauft. Mit dem äußerst flexiblen und robusten Verlesetisch werden verschiedene Früchte nachsortiert. Seit dem Verkaufsstart haben wir etwa 900 Obstraupen und zirka 300 Sortiertische verkauft. Unser Exportanteil von rund 70 Prozent ist recht hoch. Zuerst lieferten wir nach Deutschland und in die Schweiz, inzwischen haben wir schon in fast allen Ländern Europas Kundinnen und Kunden und auch schon die ersten Produkte nach Nordamerika verkauft.“

Foto: Evelyn Hronek