Sparkassen Zeitung

5 Fragen an

Fünf Fragen an Zukunftsforscher Matthias Horx

Ausgabe #Dezember/2022 • ZEITENWENDE

MATTHIAS HORX. DER ZUKUNFTSFORSCHER ÜBER DIE MÄR DER „EWIGEN GEGENWART“, RESILIENZ UND JUNGE ALTE.

1. WAR DIE ZUKUNFT FRÜHER BESSER EINZUSCHÄTZEN??

Die Geschichte ist voll von turbulenten Phasen, in denen sich alles änderte, man denke an die Französische Revolution, die Weltkriege oder die 60er- und 70er-Jahre mit der Jugendrevolte. Was uns heute irritiert, ist die Annahme, wir wären in den letzten 30 Jahren, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, in einer „ewigen Gegenwart“ angekommen. Endlich gibt es wachsenden materiellen Wohlstand, immer mehr Produkte, es herrscht überall Frieden. Dann sind wir fassungslos, oder werden wütend, wenn sich das als Illusion herausstellt.

2. WIE ÜBERSTEHT MAN ZEITENWENDEN AM BESTEN?

Mit Resilienz. Oder durch Übung. Menschen sind auf Kontinuität getrimmt. Sie wollen immer mehr vom Gleichen, wenn sie daran gewöhnt sind. Sie sind aber erstaunlich fähig dazu, in Krisenzeiten dazuzulernen und neue Lösungen zu finden. Dann MÜSSEN wir uns Neues einfallen lassen. Aber erstmal muss gejammert werden.

3. WAS WERDEN ZUKÜNFTIGE HERAUSFORDERUNGEN SEIN?

Unsere Lebens- und Produktionsweise von fossilen Brennstoffen wegzubekommen. Es erfordert eine andere Weise des Zusammenspiels von Individuum, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir tun uns schwer damit, weil unser Lifestyle auf ein MEHR an Gütern, Produkten, Erlebnissen und Ergebnissen ausgerichtet ist. Das hat etwas mit dem „Verbrennungsprinzip“ zu tun, das wir seit der Urzeit haben: Ausgraben, Verbrauchen, Wegwerfen. Aber es könnte eine ANDERE Art von Wachstum geben, in dem Naturgenuss, Lebensqualität, Zeit- und Beziehungswohlstand wachsen. Wir sollten wieder lernen, Preis und Wert zu unterscheiden. Und bewusste Entscheidungen nicht nur als Konsumierende, sondern auch als Bürger:innen und Erdbewohner:innen zu treffen.

4. KOMMEN BESTIMMTE GENERATIONEN BESSER MIT HERAUSFORDERUNGEN ZURECHT ALS ANDERE?

Es gibt das Klischee, dass man immer enger in seinen Weltanschauungen und Handlungen wird, je älter man ist, die so genannte „End-of-History-Illusion“. Wir glauben, dass wir „fertig“ sind, wenn wir erwachsen sind. In Wahrheit verändern sich Menschen auch nach der Lebensmitte noch ziemlich. Generationenunterschiede sind heute nicht mehr so groß wie noch in meiner Jugend, als es eine Jugendrevolte gegen „die Alten“ gab, mit klaren Fronten. Heute gibt es auch junge Alte und alte Junge.

5. WIESO SOLLTE MAN POSITIV AUF VERÄNDERUNGEN BLICKEN?

Sollte man das? Das kann man nicht. Veränderung macht immer Angst. Optimismus und Pessimismus sind verkürzte Stimmungen, die nur eine Seite der Wirklichkeit wahrnehmen. Es geht um konstruktiven Realismus, um eine innere Zukunftsorientierung. Wir Zukunftsforschende nennen das „Possibilismus“ – Denken und Handeln in Möglichkeiten.


INFO: Der in Wien lebende gebürtige Düsseldorfer gilt als einer der renommiertesten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Alljährlich gibt der Gründer des Zukunftsinstituts seinen Zukunftsreport heraus. Die Ausgabe 2023 erscheint am 1. Dezember. www.zukunftsinstitut.de | www.horx.com
Foto: Klaus Vyhnalek/www.vyhnalek.com