Sparkassen Zeitung

Land und Märkte

Kalorien aus der Datenleitung

Ausgabe #4/2016 • Open for Business

Geringes Interesse bei den KonsumentInnen, logistische Problemzonen: Bislang galt der Food-Markt als trister Nebenschauplatz des Online-Geschäfts. Jetzt folgt der nächste Versuch, für schmackhafte Umsätze zu sorgen.

Vom Sofa zur Burger-Versorgung: Mjam zählt mit seiner Plattform zu jenen Online-Lieferdiensten, die immer mehr zur Boom-Branche avancieren.

Von einem wirtschaftlichen Gala-Dinner konnten die Macher bislang nur träumen. Die Realität präsentierte sich vielmehr als Saure-Gurken-Zeit: So gut wie alle Versuche, via Internet Nahrungsmittel an die KundInnen zu bringen, endeten als veritabler Flop. Inmitten des boomenden Web-Geschäfts erwies sich E-Food als digitales Brachland mit der Lizenz zum nachhaltigen Verpulvern hoher Summen.

KonsumentInnen zeigten bisher kaum Begeisterung über die Option, Erdäpfel, Käse oder Mineralwasser via Klick zu erwerben. Die umsatzhemmende Überlegung vieler VerbraucherInnen wirkte durchaus einleuchtend: Warum lange auf den Lieferanten warten, wenn der nächste Supermarkt fünf Minuten entfernt ist. Zudem mangelte es nicht selten am Vertrauen, ob der Bote tatsächlich imstande war, die Ware unbeschadet zu liefern.

Eine Einstellung mit Folgen: Für Europa schätzen ExpertInnen einen Online-Marktanteil im einstelligen Prozentbereich. Was angesichts hoher Kosten für Logistik und Marketing nicht unbedingt auf Chancen für bestens gefüllte Kassen hinweist. Viele potenzielle MitspielerInnen winkten bislang auch deshalb ab, weil sie der Verdrängungswettbewerb in der realen Welt genügend Geld kostet – einen Sinneswandel der Kundschaft versäumen will jedoch auch niemand.

GLOBALER ENERGIESCHUB
Deshalb geht jetzt ein neuer Energieschub durch die globale Sphäre des E-Food. Immer mehr Zustelldienste, Ketten und Start-ups beziehen Position, um die Sache mit der Rechner-Ernährung doch noch wirtschaftlich schmackhaft zu machen. Der Kraftakt kommt nicht von ungefähr: Online-Shopping gewinnt weiter an Popularität – warum sollte das nicht für dieses Geschäftsfeld gelten.

Wer möchte in der Wartehalle sitzen, während der Zug plötzlich in Richtung Goldmine düst. Eine Studie der Managementberatung A.T. Kearney macht Mut – demnach ordern die VerbraucherInnen in Österreich, Deutschland und der Schweiz Lebensmittel immer öfter via Web. Dennoch warnt A.T.-Kearney-Experte Mirko Warschun vor großem Jubel: „Zweifelsfrei wächst die Marktdurchdringung für Online-Food-Retailing. Das resultiert aber in erster Linie aus Probekäufen. Ein deutlich geringerer Teil der Verbraucherinnen und Verbraucher hat den Kanal in sein regelmäßiges Verhalten integriert.“

Der Herausforderung, Supermarkt-BesucherInnen in digitale StammkundInnen zu verwandeln, stellt sich in Österreich nicht zuletzt die Rewe Group. Seit Juni können in Wien und Umgebung KundInnen von Merkur ihre Einkäufe vom Sofa aus erledigen, eine Ausweitung ist in Planung. Vorne dabei ist auch Billa mit seiner virtuellen Anlaufstelle. Hier vermeldet Rewe eine zumindest imposant klingende Umsatzerhöhung von 130 Prozent seit dem Vorjahr. Die im Netz getätigten Käufe machen ungefähr so viel aus wie vier durchschnittliche Filialen im Jahr umsetzen.

„Eine steigende Zahl von Kundinnen und Kunden nutzt diesen Kanal. Hier wird ein Mehrwert erkannt“, sagt Rewe-Sprecherin Ines Schurin, die gleichzeitig auf die Sensibilität der Materie verweist: „Diese Waren können nicht wie Bücher, Kleidung oder Möbel in einen Karton gepackt und versandt werden. Die wichtigste Aufgabe ist die Einhaltung der Kühlkette. Lebensmittel haben eine emotionale Komponente, die KundInnen müssen ihren LieferantInnen noch mehr vertrauen.“

SPEZIELLE MEHRWEGBOXEN
Für die Herstellung guter Beziehungen legt sich die Branche ins Zeug. Was keineswegs nur die Auswahl geschulter MitarbeiterInnen betrifft, die sogar angesichts einer Wohnung im 8. Stock ohne Aufzug nicht kapitulieren. Viel Arbeit wird auch in Hardware investiert, beweist der deutsche Online-Supermarkt AllyouneedFresh mit seinen speziellen Mehrwegboxen. Diese verfügen über bis zu fünf verschiedene Temperaturzonen, werden an der Wohnungstür geöffnet, die KundInnen erhalten ihre Ware und die ZustellerInnen nehmen besagte Transportmittel wieder mit.

Absolut frische Produkte sind aber nur ein Argument – Geschwindigkeit wird ebenso zum Trumpf im Wettbewerb. Es sind Zauberworte wie „Same Day Delivery“, die VerbraucherInnen an Land ziehen sollen. Ein Big Player der Netzwelt, der in nahezu jeder Industrie zur Attacke bläst, geht vorerst in Deutschland in die Nahrungs-Offensive: Drohnen befinden sich nicht im Einsatz, trotzdem dreht Amazon wie üblich intensiv an der strategischen Schraube.

Das Spezialservice „Prime Now“ verspricht nach dem Start in Berlin jetzt auch in München ultraschnelle Verrichtung im Dienste der KäuferInnen. Langes WWWarten ist damit out, KundInnen erhalten gewünschte Lebensmittel innerhalb nur einer Stunde oder innerhalb eines wählbaren Fensters von zwei Stunden zwischen 8:00 und 24:00 Uhr. Der Mindestbestellwert beträgt 20 Euro, die Zustellung binnen zwei Stunden erfolgt gratis, innerhalb einer Stunde fallen 6,99 Euro an. Wem das noch nicht genügt, der wird außerdem ökologisch zum Kauf motiviert. Als Verpackung dienen Papiersäcke oder wiederverwendbare Isoliertaschen für gekühlte und gefrorene Ware. Unhandliche Produkte wie Getränkekisten kommen ohne Zusatzverpackung an.

LÄNDLICHE KINDERSCHUHE
Über solche Annehmlichkeiten würden sich auch viele UserInnen in ländlichen Gebieten freuen. Dort aber steckt das E-Business bestenfalls in den Kinderschuhen. Komplexe Logistik und niedrige Margen lassen die Akteure bislang zurückschrecken. „Food Commerce wird vor allem urban stattfinden, und das noch länger. Es wäre möglich, via E-Mail beim lokalen Händler zu bestellen. Für große Ketten jedoch lohnen sich Aktivitäten in dem Bereich eher nicht“, analysiert Unternehmensberaterin Karoline Simonitsch.

Was Rewe offenbar anders bewertet: Die in den entsprechenden Billa-Filialen bestückten Warenkörbe werden landesweit zugestellt. Ein anderes rurales Signal sendet Mjam. Die Restaurants dieses zentralen Web-Lieferservices seien strikt urban orientiert, verdeutlicht Marketing-Managerin Viktoria Reitlinger: „Die großen Ketten unserer Plattform liefern derzeit in Wien und planen eine Ausdehnung nur für große österreichische Städte.“

Frühstückskorb von Hausbrot.at: Rund 13.000 KundInnen haben bislang die
Online-Variante der morgendlichen Versorgung erprobt.

 

Mjam gehört gleichzeitig zu jenen aufstrebenden Online-Diensten, die Couch Potatoes, gestressten ManagerInnen oder Hausfrauen und -männern mit Kids die Speisenzubereitung ersparen. Es sind AnbieterInnen mit meist blumigen Namen wie foodora, Willessen, Netkellner, habhunger oder bierher. Kutschiert wird zwischen Spaghetti, asiatischen Nudeln, Burgern oder Schnitzeln so ziemlich alles, was hungrige Mägen begehren.

Die Chance auf positive Resonanz beim zahlenden Publikum scheint gegeben, belegt Hausbrot.at. Das digitale Frühstücksservice der connect724 GmbH haben in Wien, Mödling, Perchtoldsdorf und Brunn am Gebirge nach eigenen Angaben rund 13.000 KundInnen ausprobiert, über 2.000 Lieferungen werden wöchentlich abgewickelt. Die Argumente, die zum Umstieg von der Bäckerei ums Eck auf die Datenautobahn bewegen sollen, liegen auf der Hand: Neben dem Faktor Convenience soll die morgendliche Zeitersparnis KundInnen überzeugen.

Leicht möglich, dass bald mehr VerbraucherInnen Semmeln von der Gartentüre holen oder in Sachen Bierlogistik bei ihrem Supermarkt durchklicken. Trotz der vorerst schmalen Perspektive auf Gewinne. Karoline Simonitsch: „Momentan sind solche Services flächendeckend noch kaum rentabel. Doch es ist ein Trend, dem sich HändlerInnen keinesfalls entziehen können. Immer mehr Menschen kaufen online und wollen auch Lebensmittel jederzeit an jedem Ort bestellen.“