Sparkassen Zeitung

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Schnitzeljagd

Ausgabe #4/2016 • Open for Business

Pokémon Go stellte die Innovationskraft des zuletzt kriselnden japanischen Spieleherstellers Nintendo eindrucksvoll unter Beweis. Kaum ein Smartphone-Spiel hat bislang die Massen so elektrisiert wie die Suche nach den Comic-Tierchen. Eine Analyse.

Der Hype um „Pokémon Go“ reißt langsam ab. Als WienerIn musste man sich im Hochsommer nur für eine Stunde in den Stadtpark setzen, dann sah man den Schwarm, bewaffnet mit Smartphone und portablem Ladegerät, den Kopf zur Brust geneigt, auf der Jagd nach den kleinen Monstern die Sehenswürdigkeiten abklappern. Mittlerweile flacht die weltweite Begeisterung ein wenig ab. Nach übereinstimmenden Berichten sank die Userzahl im August um 12 Millionen auf 33 Millionen Menschen. Auch die Verweildauer in der App und die Download-Rate nehmen wieder irdische Dimensionen an. Ziel des Spiels ist es, die 151 Pokémons einzufangen. Versteckt sind sie in Parks, in Bahnhöfen und an Flüssen.

Das Spiel kam punktgenau zur richtigen Zeit: Die 90er-Jahre erleben in Mode, Musik und Kunst ein Revival. EndzwanzigerInnen, die in den 90er-Jahren Pokémon am Gameboy gespielt haben, machen aus nostalgischen Gründen einen gewaltigen Teil der Zielgruppe aus, ebenso wie Cosplay-Teenager, die der japanischen Comic-Kultur verfallen sind.

DIABLOISCH
Zur Blütezeit der App wurden Pikachu und Konsorten in den quasi-religiösen Status erhoben: Der Bischof der sizilianischen Diözese Noto bezeichnete die App als „diabolisch“, da sie zur Entfremdung abertausender junger Menschen beitrage. Es gab einen veritablen Aufschrei wegen JägerInnen in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz, und in Bangkok gingen Sondereinheiten auf Streife, die SpielerInnen fotografieren und melden, falls das Spiel in „unachtsamer“ Weise gespielt werden sollte. Es kam in letzter Zeit vermehrt zu schweren Verkehrsunfällen durch abgelenkte FußgängerInnen und PKW-LenkerInnen. In Taipeh legten Tausende für mehrere Stunden die Innenstadt lahm, weil ein seltenes Pokémon in der Nähe der Hauptverkehrsstraße erschienen war. In den USA stürzten SpielerInnen in Schluchten, brachen in Häuser ein oder zogen sich Kopfverletzungen zu, weil sie gegen Schilder, Bäume und Wände rannten. Breit beobachtet von den internationalen Medien.

Dem Pokémon-Erfinder Nintendo dürfte die Aufregung nur recht sein. Der Konsolenhersteller hat mit dieser App den Sprung in die Smartphone-Welt gewagt, und der ist ihm geglückt. Innerhalb weniger Tage verdoppelte sich der Aktienwert des Gaming-Riesen, der Unternehmenswert stieg auf 38 Milliarden Euro. In den vergangenen Wochen pendelte sich der Kurs allerdings wieder ein. Dennoch: Für den letztens schwächelnden Giganten der 80er- und 90er-Jahre ein wohltuender Erfolg. Auch der Produzent des Spiels, Niantic, konnte in den ersten Monaten nach Veröffentlichung rund 200 Millionen Euro lukrieren. Pro UserIn verdient die Firma im Schnitt 25 Cent. Und das, obwohl die Server in den ersten Wochen regelmäßig vor Überlastung zusammenbrachen und das Spiel nicht vernünftig gestartet werden konnte. Niantic-Gründer John Hanke wehrte sich auch verbissen gegen Vorwürfe, dass sensible Nutzerdaten über Aufenthaltsort und IP-Adressen an dritte Parteien weitergegeben wurden. Doch erst Ende August wurden Schnittstellen aus dem Spiel verbannt, vorher flossen Daten ungehindert auf die Server von undurchsichtigen Tracking-Firmen.

HARRY POTTER WARTET SCHON
Die Aktien der beiden verantwortlichen Firmen werden – trotz der Einbrüche – auch in Zukunft begehrt bleiben. Nintendo hat die Lizenzen für dutzende Helden. Die Klempner-Brüder Mario & Luigi, Zelda, Donkey Kong und der rosarote Kirby zogen in den 90ern Millionen in ihren Bann und warten nur auf ihre Premiere am Smartphone. Aus dem Umfeld von Niantic hört man, dass bereits laut über eine Umsetzung der Harry-Potter-Reihe nachgedacht wird – auch ein Megaseller in der analogen Welt.