Das gegenwärtige Wirtschaftsumfeld kann mit „Umstellung“ beschrieben werden. Für die Kapitalmärkte bedeutet das einen Anstieg der Kursschwankungen.
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren für die Kapitalmärkte seit dem Ende der Großen Rezession im Jahr 2009 günstig. Die Weltwirtschaft befand sich, unterstützt von den sehr lockeren Geldpolitiken, in einer moderaten Erholungsphase. Vor rund eineinhalb Jahren hat mit dem Übergang in eine Boomphase das Umfeld eine neue Qualität erreicht: Starkes, breit basiertes Wachstum, niedrige Inflation, unterstützende Geldpolitiken, gutes Gewinnwachstum und niedrige Kursschwankungen haben zu kräftigen Kursanstiegen bei risikobehafteten Wertpapierklassen wie Aktien geführt. Doch diese beste aller Welten beginnt sich langsam, aber doch, zu ändern. Gerhard Winzer, Chefvolkswirt der Erste Asset Management hat fünf Thesen für dieses Jahr aufgestellt.
1 | DAS GLOBALE WACHSTUM ERREICHT DIESES JAHR SEINEN HÖHEPUNKT.
Als Auswirkung der Großen Rezession hat die Welt wirtschaft deutlich unter ihrem Produktionspotenzial Güter und Dienstleistungen hergestellt. Die Produktionslücke war stark negativ – sprich: Die Arbeitslosenraten waren hoch. Mit dem Einsetzen der Erholung verkleinerte sie sich langsam wieder (die Arbeitslosenraten sind gefallen). Mittlerweile wird sie in immer mehr Ländern positiv (die Arbeitslosenraten erreichen ein niedriges Niveau). Allerdings liegt das aktuelle Wachstum über dem langfristig zu erwartenden Wert, dem sogenannten Potenzialwachstum. Das bedeutet aber auch, dass immer mehr Länder an die Grenzen ihres Produktionspotenzials stoßen. Weil dieses weniger stark steigt als das aktuelle Wirtschaftswachstum, wirkt das wie eine Wachstumsbremse.
2 | DIE NIEDRIGE INFLATION WIRD IN EINIGEN WICHTIGEN LÄNDERN MODERAT ANSTEIGEN.
Je länger das aktuelle Wachstum über dem Potenzialwachstum liegt und damit einen Rückgang der aktuellen Arbeitslosenrate unter die strukturelle Arbeitslosenrate bewirkt, desto eher wird die zugrundeliegende Inflation ansteigen. Diese Aussage ist aktuell vor allem für die USA von Relevanz, dort ist die Arbeitslosenrate bereits auf 4,1 Prozent gefallen, die strukturelle Arbeitslosenrate wird auf 4,6 Prozent geschätzt. Gleichzeitig drücken strukturelle Kräfte wie die Digitalisierung auf die Inflation. Der Inflationsanstieg wird also nur gering sein. Vor allem in der Eurozone wird er niedrig bleiben.
3 | DIE EXTREM LOCKEREN GELDPOLITISCHEN HALTUNGEN WERDEN VORSICHTIG ZURÜCKGEFAHREN.
Das Wachstum wird immer selbsttragender, demzufolge haben bereits im vergangenen Jahr einige Zentralbanken ihren Leitzinssatz angehoben. In den USA hat die Fed den Leitzinssatz auf mittlerweile 1,25 bis 1,5 Prozent erhöht. Zumindest drei Zinsanhebungen sind in diesem Jahr realistisch. In der Eurozone wird allerdings erst für das nächste Jahr mit einer Leitzinsanhebung gerechnet. Nicht nur steigt der Zinssatz leicht an. Auch wird das Wachstum des Zentralbankgeldes abnehmen. In der Eurozone hat die Europäische Zentralbank eine Halbierung des Anleiheankaufsprogramms angekündigt.
4 | DIE (GEO-)POLITIK WIRD TENDENZIELL RELEVANTER FÜR DIE KURSBILDUNG.
Die Anti-Globalisierungs-Tendenzen stehen erst am Anfang. An vorderster Front droht ein möglicher Handelskonflikt zwischen den USA und China. Die internationalen Organisationen und Institutionen werden tendenziell geschwächt. Das reicht von der UNO über die EU (Brexit) bis hin zum Klimaschutzabkommen. Zudem könnten die Spannungen im Mittleren Osten und in Nordkorea eskalieren. Darüber hinaus stehen in Italien, Brasilien, Russland und Mexiko wichtige Wahlen an.
5 | SOWOHL BEI DEN VOLKSWIRTSCHAFTLICHEN VARIABLEN ALS AUCH BEI DEN WERTPAPIERKURSEN WIRD DIE VOLATILITÄT ZUNEHMEN.
Die Phase der positiven Wachstumsüberraschungen wird enden, die Inflation könnte sprunghaft ansteigen, die Zentralbankmaßnahmen (Leitzinsanhebungen, Reduktion der Liquidität) könnten als zu wirtschaftsdämpfend interpretiert werden, eine wirtschaftspolitisch restriktive Maßnahme in China könnte die Befürchtungen einer „harten“ Landung schüren, das Gewinnwachstum könnte enttäuschen, geopolitische Maßnahmen könnten eskalieren, im Zusammenhang damit könnte der Ölpreis kräftig ansteigen.