Sparkassen Zeitung

Land und Märkte

Lösungsansätze für eine zukünftige Gesellschaft

Ausgabe #1/2019 • 200-Jahr-Jubiläum

RICHARD DAVID PRECHT WARNT AM ÖSTERREICHISCHEN SPARKASSENTAG 2019 VOR DEN AUSWIRKUNGEN DER DIGITALISIERUNG. ABER ER ZEIGT AUCH CHANCEN FÜR DIE GESELLSCHAFT DER ZUKUNFT AUF. WIR HABEN SEINE AUSFÜHRUNGEN ZUSAMMENGEFASST

REVOLUTIONÄRE ENTWICKLUNGEN IN UNSEREM LEBEN

Wir erleben eine technisch-ökonomische Revolution, die in ihrer Dimension mit jener ersten großen industriellen Revolution, als Österreich eine Industrienation wurde, vergleichbar ist. Nach der tausendjährigen Herrschaft von Adel und Kirche begann damals das bürgerliche Zeitalter. Und dieses entwarf ein neues Betriebssystem, das es in der Geschichte der Menschheit zuvor noch nie gegeben hat: die sogenannte Leistungsgesellschaft.

DAS ZWEITE MASCHINENZEITALTER BEGINNT

Das erste Maschinenzeitalter, das damit begann, dass man die menschliche Hand ersetzte, weicht jetzt dem zweiten Maschinenzeitalter, das dadurch charakterisiert sein wird, dass man das menschliche Gehirn ersetzt. Dieser Prozess steckt in den Kinderschuhen. Wir leben noch nicht mal in der digitalen Revolution, sondern haben erst die Hausaufgaben gemacht, damit es losgehen kann. Diese Hausaufgaben bestanden darin analoge Daten in digitale Daten zu übertragen. Die eigentliche Zäsur ist das Zeitalter des Maschinenlernens. Selbstständig miteinander agierende Systeme, die in der Lage sind gezielte Fehlerkorrekturen vorzunehmen und so eigene Dynamiken zu entwickeln.

WIE DIE ZUKUNFT DER ARBEIT AUSSEHEN WIRD

Hier stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Das erste Lager sind die sogenannten Kompensationstheoretiker, die sagen, dass der technische Fortschritt langfristig mehr neue Arbeit schaffen wird, als der alte vernichtet. Die zweite Theorie basiert auf einer Oxford-Studie vor fünf Jahren, die besagt, dass jeder zweite Arbeitsplatz stark oder sehr stark davon betroffen ist, ersetzt werden zu können. Nicht berücksichtigt sind jedoch Faktoren, die sich nicht messen lassen, wie Geschäftsmodell und gesellschaftliche Akzeptanz. Es setzt sich nur der technische Fortschritt durch, der sich rentiert und von der Gesellschaft auch akzeptiert wird.

REALISTISCHE LÖSUNGSVORSCHLÄGE FÜR DIE GESELLSCHAFT

Wir müssen uns der revolutionären Umbruchsituation in der Ökonomie bewusst werden und an Lösungsvorschlägen für eine zukünftige Gesellschaft arbeiten. Wir können uns nicht in die Tasche lügen und sagen, wir werden jetzt eine neue Stufe von Effizienz erreichen, die wird dazu führen, dass wir noch mehr Leute beschäftigen, die Produktivität wird steigen und es wird alles wunderbar werden. Und der Arbeitsmarkt ist kein Nullsummenspiel. Ich kann nicht sagen, es fallen drei Millionen Jobs weg und drei Millionen Jobs entstehen, damit ist alles gut. So einfach geht die Rechnung nicht auf.

ZUSAMMENBRUCH DER GEGENWÄRTIGEN SOZIALSYSTEME

Der Weg zur zukünftigen Gesellschaft wird zum Zusammenbruch unserer gegenwärtigen Sozialsysteme führen. Maschinen konsumieren nicht, zahlen nicht in die Kranken- und in die Rentenversicherung ein, das wird zum Zusammenbruch der Sozialsysteme führen. Dieser Realität müssen wir uns stellen. In Zukunft können wir unsere Sozialsysteme also nicht mehr über Erwerbsarbeit finanzieren. Wir könnten sie über Finanzsteuern finanzieren, oder auch über die berühmte Maschinensteuer. Eine Möglichkeit bestünde auch in Umweltsteuern. Doch was letztendlich kommen wird, ist nicht vorauszusagen und vermutlich wird es ein Mix aus verschiedenen Steuermodellen werden.

 


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"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht anfangen eine gewaltige Dimension an Humanität, die wir uns in der Aufklärung im ersten Maschinenzeitalter erarbeitet haben, mal eben so herzuschenken"

Richard David Precht,
Philosoph, Publizist, Bestseller-Autor
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BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN

Wir müssen zukünftig den Zustand, über längere Zeit nicht zu arbeiten, aufwerten. Heute sind viele durch Arbeitslosigkeit in kürzester Zeit vollkommen ohne Grund gesellschaftlich stigmatisiert. Die Antwort darauf ist das bedingungslose Grundeinkommen. Das ist der sinnvolle Gedanke hinter dem Grundeinkommen, es gibt aber auch andere. Das Silicon Valley ist zum Beispiel fast geschlossen für das Grundeinkommen mit der Begründung, die Daten eines Armen seien nichts wert. Was nützt der personifizierte Datenhandel, von dem Facebook und Google leben, wenn die Menschen sich nichts leisten können. Dann gibt es Konservative, die sagen, damit sinkt die Leistungsbereitschaft; es werden ganz viele Leute sagen, dann arbeite ich nicht mehr. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die allerwenigsten, wenn sie morgen ihre Arbeit verlieren und stattdessen 1.500 Euro bekommen, sagen, jetzt bin ich froh, das reicht mir. In Österreich würde das bedingungslose Grundeinkommen bedeuten, mit einem bislang sehr gut funktionierenden Sozial system zu konkurrieren.

DER MENSCH: EIN KONGLOMERAT VON DATEN

Das erste Maschinenzeitalter brachte einen neuen Blick auf den Menschen. Man hat die ArbeiterInnen am Anfang der ersten industriellen Revolution als Maschinen oder Werkzeuge gesehen – nicht als Menschen. Heute, in der Informa tionsgesellschaft fangen wir an, den Menschen als Konglomerat von Daten zu sehen. Ich gehe fest davon aus, dass jeder auch Eigenschaften hat, die nicht identisch sind mit der Summe seiner Daten. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht anfangen eine gewaltige Dimension an Humanität, die wir uns in der Aufklärung im ersten Maschinenzeitalter erarbeitet haben, mal eben so herzuschenken.