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Kumpel, Vertrauter und Therapeut

Ausgabe #6/2019 • Soziale Verantwortung

TIERE KÖNNEN IN DER THERAPEUTISCHEN ARBEIT ALS „BRÜCKENBAUER“ UND „VERTRAUENSPERSONEN“ EINGESETZT WERDEN UND SO NEUE WEGE IN DER KOMMUNIKATION UND INTERAKTION ERMÖGLICHEN: SIE URTEILEN UND BEWERTEN NICHT, SONDERN REAGIEREN EINZIG DARAUF, WIE MENSCHEN MIT IHNEN UMGEHEN.

Dass sich Tiere auf uns Menschen sowohl physisch als auch psychisch positiv auswirken, ist bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannt. Mal ist es das Haustier, das uns dazu bringt spazieren zu gehen, mal der treue Gefährte, der beim Älterwerden das Vereinsamen verhindert, und ein anderes Mal das tierische Familienmitglied, mit dessen Hilfe Kinder Verantwortungsbewusstsein und die Übernahme von Sorgfaltspflichten lernen. In Deutschland werden seit dem 19. Jahrhundert Tiere gezielt zur Beruhigung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen eingesetzt. Wissenschaftlich erforscht wird die tiergestützte Therapie erst seit den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als der amerikanische Kinderpsychiater Boris Levinson die Wirkung von Tieren als Eisbrecher bei „therapiemüden“ Kindern beschrieb. In den USA gehören Tiere seit langem in vielen Krankenhäusern zum Alltag; vor allem Hunde. Auch hierzulande begegnen uns immer häufiger Tiere in Seniorenwohnheimen, Pflegeheimen, Krankenhäusern, psychiatrischen Kliniken und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens.

TIERE ALS CO-THERAPEUTEN

Zahlreiche Studien belegen, dass Tiere positiven Einfluss auf die doch häufig negativen Lebensumstände in unserer modernen industrialisierten Gesellschaft haben und zu einer Steigerung der Lebensqualität vieler Menschen beitragen. „Diese Tatsache lässt es umso sinnvoller erscheinen, Menschen in bestimmten Lebenslagen durch gezielte tiergestützte therapeutische oder pädagogische Angebote zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Bei der tiergestützten Therapie handelt es sich um ein professionelles Therapiekonzept, bei dem gezielt Tiere als Co-Therapeuten eingesetzt werden. Sie unterstützen die Therapeutinnen und Therapeuten, können diese jedoch keinesfalls ersetzen. Die Therapieziele werden in der tiergestützten Therapie gemeinsam mit zum Beispiel Psychologen, Ergo- und Physiotherapeuten erarbeitet. Die Therapiestunden werden vorbereitet, durchgeführt, dokumentiert und evaluiert“, erklärt Lisa Wiesinger, fachliche Leiterin, Sonder- und Heilpädagogin und HPV-Therapeutin im Kinderhospiz Sterntalerhof.

Es gibt einige Erklärungsansätze für die positive Wirkung von Tieren auf Menschen. Der bedeutendste im Zusammenhang mit Weidetieren ist wohl die Tatsache, dass in sich ruhende und rastende Tiere Gefahrlosigkeit und Sicherheit vermitteln. „Solang eine Herde ruht und entspannt, droht auch uns keine Gefahr. Dieses archaische Wissen ist in uns Menschen tief verankert. Wenn wir Tieren liebevoll zugeneigt sind, diese streicheln, berühren, mit ihnen spielen oder auch einfach nur beobachten, hat dies eine Aktivierung unseres Oxytocins zu Folge“, so Andrea Wiesner, akademisch geprüfte Fachkraft für tiergestützte Therapie und Fördermaßnahmen. Oxytocin wird umgangssprachlich als Kuschelhormon bezeichnet und ist wichtig, um eine innere (Ver-)Bindung herzustellen. Die Oxytocin-Ausschüttung geschieht allerdings auf beiden Seiten, auch das Tier genießt Zuwendung und entspannt sich, vorausgesetzt, der Kontakt ist auf beiden Seiten freiwillig und gewollt. Ein weiterer Aspekt ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit und das Gefühl, Teil der Herde zu sein.

TIERGESTÜTZTE SOZIOTHERAPIE MIT HUSKYS

„Grundsätzlich könnte jedes Tier ein Therapietier sein, allerdings ist es hilfreich, wenn es sich dabei um ein Tier handelt, das mit dem Menschen interagieren oder Emotionen zeigen kann – hier sind Hunde das repräsentativste Beispiel, eine Schildkröte etwa wäre eine schlechtere Wahl“, erklärt der auf tiergestützte Soziotherapie spezialisierte Sozialpädagoge Alexander Unterberger. Bei Hunden im Speziellen kommen Tiere mit besonderen Wesensmerkmalen in Frage, welche während der Ausbildung verstärkt und „ausgearbeitet“ werden. Die Tiere müssen generell eine starke Bindung zu ihren BesitzerInnen haben, gut sozialisiert, friedfertig, wesensfest, nervenstark und allgemein menschenbezogen sein. „Tiere allgemein und ganz speziell Huskys sind im Kontakt zu Menschen unvoreingenommen und ehrlich. Sie wissen nichts über Lebensgeschichten und interessieren sich auch nicht dafür. Sie urteilen und bewerten nicht. Sie reagieren einzig und allein darauf, wie Menschen mit ihnen im direkten Kontakt umgehen“, so Unterberger. Er arbeitet mit einem Rudel von acht Huskys und schätzt sie als wahre Teamplayer. Sie „arbeiten“ mit Leidenschaft und bewältigen im Team Strecken über hunderte von Kilometern scheinbar mühelos. Neben ihrer Leistungsfähigkeit sind sie Rudeltiere mit einem sehr ausgeprägten Sozialverhalten. Sie sind helfend und unterstützend, setzen ganz klare Grenzen und achten hervorragend auf sich selbst. Ein echter Spiegel also, in dem man die wichtigen Kompetenzen für erfolgreiche Teamarbeit sehen und erleben kann. Auch in der Arbeit mit Burnout-PatientInnen und Kindern werden Huskys eingesetzt und fungieren dabei als Brückenbauer und Vertrauenspersonen. Andreas Unterberger nennt dazu ein Beispiel: „Vor einigen Monaten kontaktierte mich eine Sozialeinrichtung. Es ging um einen 13-jährigen Jugendlichen, der schon viele Einrichtungen durchlaufen hatte und bereits verschiedene Therapien begonnen, aber immer wieder abgebrochen hatte. Zudem litt der Junge unter ‚entschiedenem Mutismus‘. Das heißt, er hatte beschlossen, sich nicht mehr verbal mitzuteilen. Durchaus ein Problem für Therapie! Die ersten Stunden vergingen … schweigsam. Er machte zwar motiviert bei allen Übungen mit, sprach aber nicht. In Vorgesprächen hatte ich erfahren, dass es im Leben des jungen Mannes wirklich viele traumatische Ereignisse gegeben hatte, die dazu geführt hatten, dass er sich nicht mehr mitteilte. Der Junge hatte sich interessanterweise für seine Übungen und Aufgaben den schwierigsten Hund ausgesucht, den ich im Rudel habe – Akela, ein sechsjähriger Rüde, der nur Flausen im Kopf hat und ständig am Rumblödeln ist. In einer Sitzung habe ich mir dann für die beiden eine besonders schwierige Aufgabe einfallen lassen. Der Hund sollte ohne Leineneinsatz einen Slalom durch Stangen gehen, nur gesteuert durch die Gestik des Jugendlichen. Sie haben die Aufgabe mit Bravour gemeistert! Am Ende einer Übung sollen die Klientinnen und Klienten die Hunde mit ganz überschwänglicher Zuwendung belohnen. So auch dieses Mal. Der Junge nahm den Hund in den Arm und drückte ihn herzlich. Und blieb so mit Akela sitzen. Sowohl der Junge als auch der sonst so überdrehte Akela saßen umarmt in der Wiese. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass Akela die Ohren spitzt, und sie in Richtung des Jungen dreht, der sein Gesicht im Nackenfell des Hundes vergrub. Ich traute meinen Ohren nicht! Der Junge, der zum damaligen Zeitpunkt drei Jahre lang nicht gesprochen hatte, erzählte dem Hund seine Geschichte. Seither spricht er regelmäßig mit Akela, und inzwischen auch mit mir!“

Die sanfte und einfühlsame Arbeit mit Pferden, wie im Hospiz Sterntalerhof, macht den Kindern nicht nur
Spaß, sondern führt auch zu bemerkenswerten Erfolgen.

 

THERAPIE MIT PFERDEN

Pferde eignen sich aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen und artspezifischen Verhaltensweisen wie kaum ein anderes Tier für den Einsatz in tiergestützten Angeboten. Pferde bieten vielfältige Möglichkeiten an: Sie lassen sich beobachten, berühren, pflegen, füttern, reiten; sie haben ein feines Gespür für menschliche Befindlichkeiten und sind absolut authentisch in ihrem Verhalten. Sie bewerten, bemitleiden und bestrafen nicht. Durch das Gefühl getragen und gewiegt zu sein, sind Pferde bestens geeignet, verletztes Vertrauen zu heilen und das Bedürfnis nach positiver Zuwendung zu befriedigen. Im Sterntalerhof, einem Kinderhospiz für Familien mit schwerkranken, chronisch und sterbenskranken Kindern, wird im Rahmen der gesamtheitlichen Unterstützung und Begleitung sehr oft auf die Therapie mit Pferden, das therapeutische Reiten gesetzt. Die sanfte und einfühlsame Arbeit mit den Pferden macht den Kindern nicht nur Spaß, sondern führt zu bemerkenswerten Erfolgen. Mit Hilfe der Tiere können soziointegrative, rehabilitative, psychologische und psychotherapeutische Maßnahmen bearbeitet und umgesetzt werden. Eine positive Beeinflussung des Befindens, des Sozialverhaltens und der Persönlichkeitsentwicklung wird hauptsächlich bei dieser ganzheitlichen Therapieform angestrebt. „Den Klientinnen und Klienten fällt es durch ihre Beziehung zu dem Therapiepferd und den Therapeutinnen und Therapeuten leichter, sich mit ihren individuellen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen. Eine zusätzliche Wirkung wird durch das Bewegt- und Getragenwerden auf dem Pferderücken erzielt“, erklärt Andrea Wieser: „Durch meine eigenen eigenen Erfahrungen und die Teilnahme an tiergestützten Interventionen mit Pferden, Hunden, Eseln und auch Ziegen bin ich persönlich sehr von der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier überzeugt. Ich konnte selbst einen besseren Zugang zu den zu betreuenden Kindern erreichen, Probleme offen besprechen und eine Zeit der Unbekümmertheit mit jedem einzelnen Kind verbringen.“

Lamas und Alpakas sind noch nicht lange in unseren Breiten zu Hause, erfreuen sich aber großer Beliebtheit
und werden auch als Co-Therapeuten in der tiergestützten Arbeit eingesetzt.

 

EXOTEN UNTER DEN THERAPIETIEREN

Lamas und Alpakas, aber auch kleine Wiederkäuer wie Ziegen und Schafe gehören zu den Exoten unter den Therapietieren. Neuweltkameliden sind noch nicht allzu lange in unseren Breiten zu Hause und demnach für viele Menschen ungewöhnlich und fremd. Ähnlich ist es aber oft auch mit Schafen und Ziegen, denn außer in Streichelzoos begegnen uns diese Tierarten im täglichen Leben eher selten. Auch ihre Körpersprache, ihr Verhalten und letztlich ihre Bedürfnisse sind vielen Menschen nicht bekannt. „Aus tiergestützter Sicht liegt darin jedoch auch eine Chance. Begegnen wir Lebewesen, die uns fremd und unbekannt sind, steigert dies unsere Aufmerksamkeit enorm. Wir sind ‚ganz da‘, völlig im Moment gefangen, und das sind die Augenblicke, die tief in unserem emotionalen Gedächtnis gespeichert werden. Lernen und Emotion gehen Hand in Hand“, so Andrea Wiesner. Das bedeutet, dass Menschen in diesen Begegnungen besonders aufnahme- und lernfähig sind. Was unter die Haut geht, an das erinnert man sich. „Ich arbeite viel mit Menschen mit schweren Behinderungen. Zu sehen und zu erleben wie jemand, der nie zu Ruhe kommt, mitten unter den Schafen einschläft und völlig entspannt auf der Wiese liegt oder wie Kinder, deren Krankheitsbild schwere Schlafstörungen beinhaltet, endlich schlafen können, während die Tiere neben ihnen grasen. Autistische Kinder und Erwachsene, die beginnen Nähe auszuhalten und sogar aufzusuchen, die über Brücken zum Tier letztlich Brücken zu den Menschen schlagen. Zu erleben, wie Menschen, denen es schwerfällt, einen Satz zu lesen, mit tierischer Unterstützung nicht mehr genug vom Lesen bekommen können. Oder Kinder, die gemeinsam mit dem kranken oder behinderten Geschwisterkind schöne verbindende Momente mit den Schafen erleben dürfen. Das sind nur einige Beispiele der positiven Auswirkungen“, erklärt Wieser.

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