Sparkassen Zeitung

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Kreativ in Krisenzeiten

Ausgabe #September/2020 • FLEXIBILITY

WIESO KREATIVE MENSCHEN OFT BESONDERS FLEXIBEL UND FÄHIG SIND, RASCH AUF NEUE SITUATIONEN ZU REAGIEREN, UND WAS MAN VON IHNEN LERNEN KANN.

Kaum etwas ist in der aktuellen Corona-Krise so wichtig wie diese Fähigkeit: Flexibilität. Gerade für Unternehmen und Selbstständige spielt sie eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, veränderte Bedingungen zu akzeptieren, mit finanziellen Engpässen umzugehen und neue Geschäftsmodelle zu erschließen, um den Re-Start zu schaffen.

Vor allem Menschen, die in kreativen Berufen – von der Kultur bis zu Marketing und Mode – tätig sind, mussten erfahren, was es bedeutet, wenn Theater plötzlich zusperren, geplante Kampagnen nicht erscheinen und Mode nicht verkauft wird.

UNGEWISSE ZUKUNFT

Auch Künstlermanager Georg Hoanzl und seine Klient-Innen wie Josef Hader, Andreas Vitasek oder Stermann und Grissemann ließ die Krise nicht unberührt. Denn der faktische Lockdown bedeutete auch das Ende sämtlicher Kulturveranstaltungen. „Als die Corona-Krise begonnen hat“, erinnert sich Hoanzl, „war wochenlang nicht klar, wann wieder Zusammenkünfte mit mehreren Menschen möglich sind. Rasch ist die Idee aufgekommen, dass man eine Spielstätte suchen könnte, die nicht so ein hohes Ansteckungsrisiko hat wie eine Indoor-Location – und mein Freund und Geschäftspartner Michael Niavarani war von Beginn an mit dabei.“

Schließlich fand man den passenden Ort: den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen, knapp zwei Hektar großen Privatpark der Familie Schwarzenberg beim Wiener Belvedere. Hoanzl und Niavarani planten, ab 1. Juli eine Freiluftbühne zu eröffnen und sie täglich mit Kabarett, Konzerten und Lesungen zu bespielen. Innerhalb weniger Wochen stellte Hoanzls Team ein Programm bis Ende September zusammen – und holte den deutschen Opernsänger Jonas Kaufmann ebenso auf die Bühne wie das Simple-Ensemble oder Austropop-Legende Wolfgang Ambros. Und man fand für das „Theater im Park“ in der Erste Bank auch einen passenden Bankpartner, womit der Spielbetrieb vorerst bis Ende 2022 gesichert ist.

MACHT DER GESTALTUNGSKRAFT

Außerdem erarbeitete man ein Konzept, dass den strengen Corona-Richtlinien angepasst war: Zwischen den Sitzreihen wurde ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern eingeplant, alle zwei bis vier Sitzplätze gab es einen Beistelltisch, um zusätzlichen Abstand zu schaffen. Aufgrund der Corona-Maßnahmen konnten im Juli nur 500 ZuschauerInnen unter den Platanen Platz nehmen, ab August waren es 1.250 – die meisten Vorstellungen waren ausverkauft.

„Das Projekt geht weit über unternehmerischen Mut hinaus. Das Anliegen war, den Menschen ein kulturelles Live-Erlebnis zu ermöglichen, das sie nach den langen Wochen des Ausnahmezustands miteinander teilen können, zumal die meisten Festivals und Sommertheater abgesagt werden mussten“, erklärt Hoanzl.

Gerade in dieser Zeit wollte man sowohl dem Publikum als auch den Künstlerinnen und Künstlern den Freiraum geben, sich zu finden. Der Kulturschaffende, seit 35 Jahren in der Branche tätig, ist überzeugt: „Wenn man den Begriff der Kreativität über das bekannte künstlerische Schaffen hinaus denkt, also aus einer unbekannten Situation eine unbekannte Lösung zu erarbeiten, findet man in allen nur erdenklichen Lebenssituationen und Berufen kreative Menschen. Ich finde es großartig, wenn Menschen mit ihrer Gestaltungskraft einem unausweichlichen Problem entgegentreten.“


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„IN KRISENZEITEN WIE WÄHREND DER CORONAPANDEMIE IST ALLTAGSKREATIVITÄT BESONDERS GEFRAGT.“

Rainer Holm-Hadulla,
Kreativitätsexperte

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KREATIVITÄT IN KRISENZEITEN

Doch was genau zeichnet Kreativität aus und wieso sind gerade kreative Menschen in schwierigen Zeiten besonders flexibel? Psychiater und Psychotherapeut Rainer Holm-Hadulla ist Direktor des Heidelberger Instituts für Coaching und Kreativitätsforscher. In seinem Buch „Kreativität – Konzept und Lebensstil“ beleuchtet er die Persönlichkeiten von Mozart, Goethe oder Einstein: „Über die Begabung zur Alltagskreativität verfügen die meisten Menschen. Außergewöhnliche Leistungen bedürfen hingegen meist spezieller Begabungen. Diese werden aber nur fruchtbar, wenn sie ausgebildet und zielgerichtet umgesetzt werden. Nach Begabung, Wissen und Können spielt die Motivation zur Kreativität eine große Rolle.“ Der Experte betont, dass diese nur produktiv werden kann, wenn die kreative Persönlichkeit genügend Widerstandskraft entwickelt, auch in Krisen tätig zu bleiben. Schließlich sind fördernde und fordernde Umgebungsbedingungen notwendig.

Holm-Hadulla sagt auch, dass zu Flexibilität, gerade in Krisenzeiten, fast alle Menschen in der Lage sind. Ihre Alltagskreativität unterscheide sich von außergewöhnlicher Kreativität jedoch dadurch, dass Letztere auch für ein größeres Publikum zu nützlichen und originellen Ideen und Werken führe: „Schon ganz kleine Kinder ,komponieren‘ ihre Welt. Sie verarbeiten Reize und auch Stressoren aus der inneren und äußeren Welt auf ihre ganz eigene Weise. Dabei benötigen sie einerseits verlässliche Bindungen und stabile Strukturen und andererseits Freiräume und Flexibilität. Die Herausforderung, ein gutes Gleichgewicht zwischen routinierter Tätigkeit und freiem Phantasieren zu finden, stellt sich das Leben lang.“

NEUE KONZEPTE

Auch in den Kreativbüros musste man sich flexibel auf die neue Situation einstellen. In der Marketingabteilung der Erste Bank etwa war es aufgrund des Lockdowns nötig, die gesamte Kommunikation umzustellen, berichtet Marketingleiter Mario Stadler (siehe Interview): „Wir haben begonnen, parallel an unterschiedlichen Werbekonzepten für die nächste Phase zu arbeiten – eine Phase, von der niemand wusste, wie sie genau aussehen und wie lange sie dauern würde.“ Dabei wurde die Wirtschafts- und Stimmungslage in Österreich genau verfolgt und das Team stellte sich immer wieder die Frage: Welches Werbe- und Kommunikationskonzept ist jetzt das richtige?

Letztendlich hat man sich, nachdem der Lockdown Anfang Mai gelockert wurde, von drei ausgearbeiteten Routen für ein Konzept entschieden: die #glaubandich-Kampagne mit dem kleinen Buben im Aufzug, die dann ab Juni auch wieder mit Produktkommunikation zum Thema Fondssparen kombiniert wurde. „In Summe kann man sagen, dass in dieser Zeit so ziemlich alles verändert wurde: unser Werbekonzept, der Mediamix, die Arbeitsweise und die Abstimmungsprozesse. Gleichgeblieben ist aber das, wofür wir als Marke stehen: Unser Land braucht Menschen, die an sich glauben. Und eine Bank, die an sie glaubt“, sagt Mario Stadler.

DO IT YOURSELF

Auch Claudia Kottal kann in ihrem Beruf nicht auf Flexibilität verzichten. Der Schauspielerin, bekannt aus Serien wie „CopStories“ und Kinofilmen wie „Love Machine“, wurden sämtliche Drehs bis 2021 gecancelt. Kurzerhand entwarf sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen Laura Hermann, Anna Karmer, Alev Irmak, Constanze Passin und Suse Lichtenberger ein Do-it-yourself-Serienprojekt. In der Youtube-Serie „Die Massnahme“ müssen sechs verschiedene Frauen, aus einem zuerst nicht ersichtlichen Grund, in der Isolation verschiedenste Aufgaben erfüllen, die immer extremer werden.

Vom Drehbuch bis zum Schnitt – Schauspielerin Claudia Kottal hat mit Kolleginnen die Webserie „Die Massnahme“ auf die Beine gestellt.

„Wir wollten“, erinnert sich Kottal, „nicht herumsitzen und nichts tun, sondern kreativ werden. Die Videos haben wir alle selber konzipiert, gedreht, geschnitten und wöchentlich online gestellt. Wir sind keine Drehbuchautorinnen und haben deshalb vor allem auf Improvisation gesetzt.“ Im Rahmen der Arbeit zur Serie haben sich die Künstlerinnen vermehrt mit Storytelling und Videoschnitt beschäftigt – neue Fähigkeiten und Erfahrungen, die sie bereichert haben, wie Claudia Kottal sagt. Sie glaubt, dass jeder Mensch viel Kreativität und dadurch bedingt auch viel Flexibilität in sich trägt und man nur öfter wagen muss Neues auszuprobieren: „Ich habe generell das Gefühl, dass viele Menschen durch diese Krise sehr kreativ geworden sind – von all den Videos, die man im Netz gefunden hat, bis zu innovativen Produkten.“

EIN LEBENSELIXIER

„Flexibilität ist gerade für kreative Selbstständige in meiner Branche extrem wichtig. Das ist auch etwas, auf das ich bei meinem Unternehmen setze. Wenn man selber nicht fotografieren kann, nicht weiß, wie ein Online-Shop aufgebaut ist oder wie man mit technischen Dingen umgeht, ist man hoffnungslos verloren. Man muss auch darauf achten, was bei den Kundinnen und Kunden gerade gefragt ist, und darauf reagieren“, erklärt Sabine Karner. Die Wiener Designerin reagierte innerhalb weniger Tage auf die Corona-Krise – und postete schon Mitte März das Foto einer von ihr entworfenen Maske auf Facebook. Dort war die Nachfrage so groß, dass Karner innerhalb von zwei Tagen Masken in ihr Sortiment aufnahm, die sie sowohl in ihrem OnlineShop als auch nach der Wiedereröffnung in ihrem Geschäft verkauft. Die aus auffälligen Stoffen gestalteten Baumwollmasken sind unter anderem mit Pailletten besetzt, haben Maschen oder Tigerfell-Muster. Das Ziel: Freude in den Alltag zu bringen und die Menschen zu motivieren, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.


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„ES IST WICHTIG ZU SPÜREN,
WAS DIE MENSCHEN WOLLEN.“

Sabine Karner
Die Designerin hat schon kurz nach Beginn der Corona-Krise Masken entworfen.

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Bleibt schlussendlich die Frage, ob man Kreativität lernen kann. Kreativitätsforscher Holm-Hadulla erinnert daran, dass schon Kinder in der richtigen Umgebung lernen, Wissen und Können zu erwerben und andererseits frei zu phantasieren und auszuprobieren: „Dieses Spiel zwischen Struktur und Freiheit ist einerseits wunderbar, andererseits störanfällig. Kreativität ist ein Lebenselixier – sie bleibt allerdings auch eine lebenslange Anforderung.“

 

„Speziell in Krisenzeiten gilt: proaktiv kommunizieren“

Mario Stadler, Marketingleiter Erste Bank und im September 2020 zum „Marketing Leader of the Year“ (Internet World Austria in Kooperation mit dem Marketing Club Österreich) ausgezeichnet, über Flexibilität im Marketing, die Veränderungen durch die Corona-Krise und die Bedeutung von gut eingespielten Teams.

Welche Bedeutung hat Flexibilität im Marketing gerade in Krisenzeiten wie der jüngsten Corona-Krise?
Mario Stadler: Die Anforderung an die Flexibilität im Marketing ist in den letzten Jahren stark gestiegen und dieser Trend setzt sich unverändert fort, weil sich das Medien- und Konsumverhalten ständig ändert, die technologische Entwicklung voranschreitet, die Anzahl der Kommunikationskanäle explodiert und Reaktionszeiten immer kürzer werden. Diese Entwicklung wurde durch die Corona-Krise deutlich verstärkt. Die Herausforderung besteht darin, einerseits schnell zu reagieren und andererseits die richtigen Botschaften zu setzen und diese gut orchestriert über alle relevanten Kommunikationskanäle auszuspielen. Das ist nur möglich, wenn es gut eingespielte Teams gibt, die projektorientiertes Arbeiten gewohnt sind, und zwar nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch gemeinsam mit externen Partnern wie zum Beispiel unseren Agenturen.

Auf welche Strategien sollte Marketing generell in Krisenzeiten setzen, um erfolgreich zu sein?
Stadler: Das Ohr am Markt, an den Kundinnen und Kunden haben. Sich selbst fragen: Was ist für unsere Kundinnen und Kunden, die Menschen, die Wirtschaft jetzt relevant? Was ist unsere Aufgabe als Unternehmen, als Marke? Was sind jetzt die richtigen Botschaften? Über welche Kanäle erreichen wir die Menschen jetzt am besten? Speziell in Krisenzeiten ist es für eine Marke wichtig, nicht auf Tauchstation zu gehen, sondern proaktiv zu kommunizieren. Uns war zu Beginn der Corona-Krise schnell klar: Als eine der stärksten Marken des Landes müssen wir auch in schwierigen Zeiten Verantwortung übernehmen, Haltung zeigen und Orientierung geben. Unser Vorteil als Sparkassengruppe ist, dass wir aus einem klaren Selbstverständnis heraus agieren. Wir haben einen starken Unternehmenszweck und mit #glaubandich ein daraus abgeleitetes Markenversprechen, das den Weg vorgibt.

Wie hat das Marketingteam der Erste Bank auf die Herausforderungen in der Corona-Krise reagiert?
Stadler: Wir, und damit meine ich das gesamte Marketing- und Kommunikationsteam der Erste Group, Erste Bank und der Sparkassen, haben sehr schnell reagiert. Aufgrund des Lockdowns und der sehr eng getakteten Verkündung von Maßnahmen durch die Regierung war es notwendig, die gesamte Kommunikation umzustellen. Jegliche Produkt- beziehungsweise Sales-Kommunikation wurde vorübergehend eingestellt, denn es ging jetzt nicht darum zu verkaufen, sondern unsere Kundinnen und Kunden bestmöglich zu informieren und zu unterstützen. In enger Zusammenarbeit mit unseren Agenturen wurde innerhalb weniger Tage ein komplett neues Werbekonzept entwickelt, mit dem Motto „Österreich #glaubandich“.

Was war das Ziel?
Stadler: Wir wollten als Marke einerseits Empathie zeigen und andererseits professionell informieren. Es wurden Botschaften zu den Themen erarbeitet, die die Menschen aktuell beschäftigten, zum Beispiel zu Hygienemaßnahmen, zu unserer Erreichbarkeit, zu den Hilfspaketen oder zum Moratorium. Diese Botschaften mussten fast im Tagestakt abgestimmt, produziert und in unterschiedlichen Kanälen ausgespielt werden, von Printmedien über Hörfunk, Social Media, unsere Website bis zum POS an fast tausend Standorten in ganz Österreich.