Sparkassen Zeitung

Economy

Wir müssen diese Zeit als Gemeinschaft durchstehen, dann wird es wieder eine Normalität geben, wie wir sie kennen

Ausgabe #6 Dezember/2020 • FAMILIE

EVA HÖLTL, LEITERIN DES GESUNDHEITSZENTRUMS DER ERSTE BANK, ÜBER DIE AUSWIRKUNGEN DER CORONA-PANDEMIE AUF DIE ARBEITSWELT, DIE ERHÖHTEN BELASTUNGEN FÜR DIE FAMILIEN UND DIE WICHTIGKEIT DER GESUNDHEITSVORSORGE IN SCHWIERIGEN ZEITEN.

Frau Höltl, welche Angebote zur betrieblichen Gesundheitsförderung werden bei der Erste Bank umgesetzt? Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Eva Höltl: Die Arbeit unseres interdisziplinären Teams hat den erklärten Schwerpunkt Prävention, also das Verhindern von Erkrankungen. Wir bemühen uns unsere Beratungen tätigkeits- und zielgruppenrelevant zu gestalten. Wir schauen uns an, welche negativen Auswirkungen die jeweilige Arbeit auf die Gesundheit haben könnte und legen Maßnahmen und Angebote für die jeweilige Zielgruppe fest – also für Lehrlinge, Erwerbstätige im mittleren Alter und, was ganz wichtig ist, für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Wo liegt Ihr zweiter großer Schwerpunkt?

Höltl: Wir sind für über 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Holding, die Erste Bank Österreich und deren Töchter zuständig. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen Erkrankungen im Erwerbsalter. Hier alles auszuschöpfen, damit diese wieder beruflich eingegliedert werden und nicht frühzeitig rausfallen, ist schon seit Jahren ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Tätigkeit.

Wird das Angebot von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerne angenommen?

Höltl: Wir haben pro Jahr ungefähr 20.000 Konsultationen im Gesundheitszentrum. Und das zu allen möglichen Themen, das sind nicht nur rein präventivmedizinische Angebote, sondern auch viele psychologische Beratungen. Unsere Angebote bestehen seit 2006, am Anfang gab es Überlegungen, ob es eine Hemmschwelle geben wird, weil auch die Psychologinnen Mitarbeiterinnen der Bank sind, und ob da auch wirklich private Themen zur Sprache kommen. Wir haben uns aber ein großes Vertrauen erarbeitet.

Welche Themen gibt es bei den psychologischen Beratungen?

Höltl: Zu uns kommen Menschen, die merken, dass ihnen alles zu viel wird. Die plötzlich nicht mehr gut schlafen, sich tagsüber nicht mehr konzentrieren können und in ihrer Leistung abfallen. Es ist eine Tatsache, dass sehr viele von uns manchmal in Situationen kommen, in denen Belastungsspitzen erreicht werden. Meistens ist das eine Kombination aus privaten und beruflichen Belastungen. Hier ist es oft sehr hilfreich, wenn man Unterstützung hat, die einen durch diese Zeit begleitet. Und es ist ja ein Zeichen von Professionalität und nicht von Schwäche, sich in herausfordernden Situationen die Hilfe zu holen, die man braucht.

Gibt es durch die Corona-Pandemie und die beiden Lockdowns neue Problemstellungen?

Höltl: Durch die Auswirkungen der Pandemie und den erzwungenen Lockdown finden die Menschen völlig neue Arbeitsbedingungen und -umgebungen vor. Familien mit Kindern sind natürlich ganz stark betroffen. Ein Lockdown mit Schulschließungen bringt die Familien an ihre Grenzen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben jetzt nicht die Möglichkeit acht Stunden durchgehend konzentriert zu arbeiten. Ich glaube aber nicht, dass die gegenwärtige Situation psychisch krank macht oder schwere Schäden verursachen kann, weil jedem klar ist, dass sie vorübergeht.

Ist das Herausreißen aus dem gewohnten beruflichen Umfeld und aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen, die ja für viele eine Ersatzfamilie sind, nicht extrem schwierig?

Höltl: Es gibt viele Menschen, die alleine leben. Da gibt es jetzt, wo sie im Homeoffice sind, überhaupt keine sozialen Kontakte mehr. Um diese Menschen machen wir uns ganz besonders Sorgen, weil sie vereinsamen. Es gibt deshalb ganz bewusst in den Abteilungen Jours fixes, bei denen man Kaffee trinkt und sich virtuell austauscht. Das kann den physischen Kontakt zwar nicht ganz ersetzen, aber es wurde hier das Richtige getan, nämlich alles zu versuchen, um die Gemeinschaft und das soziale Gruppengefüge auch während des Lockdowns zu fördern. Wenn es gelingt, dass wir diese Zeit als Gemeinschaft durchstehen, dann wird es wieder eine Normalität geben, wie wir sie kennen.


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„ES IST EIN ZEICHEN VON PROFESSIONALITÄT UND NICHT VON SCHWÄCHE, SICH
IN HERAUSFORDERNDEN SITUATIONENDIE HILFE ZU HOLEN, DIE MAN BRAUCHT.“

Eva Höltl,
Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank

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Wie steht es um die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Lockdown?

Höltl: Die Gesundheitsdaten verändern sich natürlich: Man sitzt den ganzen Tag vor dem Computer, man isst anders, man schläft schlechter und ist antriebsloser. Wir sehen natürlich auch, dass manchmal die ganze Last der Kinderbetreuung auf einer Person liegt. Das sind oft Alleinerziehende, die hier an ihre Grenzen kommen. Ich glaube nur, dass man sehr vorsichtig sein sollte, das Ganze zu pathologisieren. Man muss natürlich jene herausfinden, die wirklich so stark darunter leiden, dass es zu gesundheitlichen Problemen kommen könnte. Den anderen müssen wir zusprechen, sie begleiten und motivieren: Haltet durch, es wird im nächsten Jahr vorbei sein!

Wurde in den letzten Monaten die Vorsorge für die Gesundheit vernachlässigt?

Höltl: Wir haben uns ganz besonders bemüht im Lockdown die anderen Themen nicht außen vor zu lassen. Krankheiten kommen jetzt oft in sehr späten Stadien zur Behandlung, weil sich die Leute nicht ins Gesundheitssystem trauen oder es keine Termine gibt. Wir haben uns deshalb bewusst entschieden unter sehr verschärften Sicherheitsvorkehrungen Vorsorgeuntersuchungen anzubieten, weil sie wichtig sind. Die klassischen Gesundheitsdeterminanten wie Essverhalten, Rauchen und Bewegung haben sich in den letzten Monaten sicher nicht zum Positiven entwickelt. Das ist aber kein fixierter Zustand, das ist korrigierbar.

Melden sich die Leute aus dem Homeoffice bei Ihnen? Werden Sie auch im Lockdown konsultiert?

Höltl: Wir haben eine unternehmensinterne Hotline eingerichtet, bei der täglich 100 bis 150 Anrufe rund um das Thema Corona eingehen – das ist im Moment das dominante Thema. Die Leitungen sind sieben Tage die Woche offen und immer von Ärztinnen und Ärzten besetzt. Ich halte das für eine wahnsinnig wichtige Maßnahme. Wir haben vorher nie telemedizinische Beratungen gemacht, auch aus Datenschutzüberlegungen heraus. Wir sehen aber jetzt, dass es sehr gut geht – aber natürlich nicht für alles und nicht in jedem Bereich.

Wir haben gerade hier in Wien viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus anderen Ländern kommen und hier nur eine kleine Wohnung haben, in der sie jetzt festsitzen. Deren Familien sind im Ausland und sie machen sich große Sorgen. Hier kommen Anrufe, bei denen ein regelmäßiges Sprechen und Betreuen hilft.

Wie werden sich die aktuellen Veränderungen auf die Arbeitswelt der Zukunft auswirken?

Höltl: Diese Homeoffice-Erfahrung, die wir jetzt gemacht haben, wird man nicht ignorieren können. Dazu hat es für sehr viele zu gut geklappt. Wir werden zukünftig viel mehr Leute im Homeoffice haben – aber dann geplant und strukturiert und für bestimmte Tätigkeiten. Es werden Mischformen zwischen Homeoffice und Präsenz entstehen. Wir werden aber noch lernen müssen, wie wir trotzdem einen guten Teamspirit hinbekommen. Wie wir neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschulen und am Anfang betreuen. Es wird sich einiges ändern, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es für uns alle eine Änderung zum Besseren sein wird.