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Economy

Kluge, praktische Innoavationen

Ausgabe #4 September/2021 • GESUND UND FIT

GESUNDHEITS-START-UPS BRINGEN SPANNENDE UND ERFOLGREICHE IDEEN AUF DEN MARKT, DIE DEN ALLTAG UND DAS LEBEN VIELER MENSCHEN VERBESSERN SOWIE ENTSCHEIDEND ZU DIAGNOSE UND PRÄVENTION BEITRAGEN.

Ob die Entwicklung eines Medizinprodukts, einer Gesundheits- App oder der Spin-off von medizinischen Forschungsergebnissen – mit ihren innovativen Ideen bieten heimische Health-Start-ups praktische Lösungen für KundInnen ebenso wie für ÄrztInnen und das Gesundheitswesen.

Eines dieser Start-ups ist igevia, das einen neuen Zugang zu fundierten Tests für Allergien, Stoffwechsel und Darmflora bietet. Das Besondere ist, dass sämtliche Tests unkompliziert mit professionellen Test-Kits und klar formulierten Gebrauchsanweisungen sicher von zu Hause aus durchgeführt werden können. „Unsere Tests richten sich an Privatkundinnen und -kunden zu Hause, die Klarheit für ihre Gesundheit in den Bereichen Allergie, Stoffwechsel/ Gewichtsmanagement und Darmflora erhalten möchten. Zusätzlich arbeiten wir mit Arztpraxen, Diätpraxen und Apotheken zusammen, die unsere Tests in der Arbeit mit ihren Patientinnen und Patienten einsetzen. Begonnen haben wir mit dem Allergietest, da fast ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher von einer Allergie betroffen sind, aber nicht genau wissen, was die Auslöser sind“, erklärt Dominik Flener, Geschäftsführer von igevia. Danach kam der Stoffwechseltest, der dabei hilft durch eine gezielte Ernährungsumstellung abzunehmen. Test Nummer drei ist ein Darmfloratest, der bei Darm- und Verdauungsproblemen hilft, Klarheit zu bekommen. Bei den Tests arbeitet igevia mit Herstellern und Laboren direkt zusammen. „Der hohe Aufwand für uns war die Entwicklung der Test-Kits für zu Hause, damit diese auch von Laien sicher angewendet werden können. Und zusätzlich noch der Aufbau der Logistik und Befundung. Gerade bei der Ausspielung der Ergebnisse geht es um hochsensible Daten, die sicher an unsere Kundinnen und Kunden zugestellt werden müssen“, so Flener. Wie sehen die Zukunftspläne des Start-ups aus? „Das Feedback der bestehenden Kundinnen und Kunden ist uns ein großer Antrieb. Wir sind deshalb laufend damit beschäftigt, neue Testmethoden zu identifizieren. Aktuell haben wir hier interessante Tests in den Bereichen Frauengesundheit und Sport in Aussicht und ich bin zuversichtlich, dass wir mit Anfang 2022 hier ein neues Produkt launchen können“, so Dominik Flener.

ZEIT ZUR DIAGNOSE VERKÜRZEN

Die Idee zu contextflow entwickelte sich schrittweise im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts Khresmoi. Ziel war es, ein mehrsprachiges, multimodales Such- und Zugangssystem für biomedizinische Informationen und Dokumente zu entwickeln. Ein Teil der Anforderungen bestand darin, die Informationsextraktion aus Dokumenten sowie die Analyse und Indexierung von medizinischen 2Dund 3D-Bildern zu automatisieren. „Nachdem wir das Tool verschiedenen Fachleuten aus dem medizinischen Bereich vorgestellt hatten und diese den Bedarf bestätigten, wurde uns klar, dass wir etwas Besonderes hatten, das wir weiter untersuchen mussten“, erklärt Markus Holzer, Co-Founder von contextflow. Dabei wird Deep-Learning-basierte Technologie genutzt, um medizinische Bilddaten und Berichte zu analysieren und so die Zeit von RadiologInnen bis zur Diagnose zu verkürzen, die Qualität der Berichte zu verbessern und das Vertrauen zu erhöhen. „Unsere Kerntechnologie heißt SEARCH (3D-Bild-basierte Suchmaschine), die Krankheitsmuster in Lungen-CTs erkennt, einschließlich solcher, die mit Covid-19 zusammenhängen. Es lässt sich direkt in den Arbeitsablauf von Radiologinnen und Radiologen integrieren und liefert ihnen zusätzliche Informationen, die ihnen bei schwierigen Fällen helfen, sowie Links zur medizinischen Literatur, die bei der Differenzialdiagnose helfen“, so Holzer.

contextflow hilft dabei, medizinische Bilddaten und Berichte zu analysieren und die Zeit bis zur Diagnose zu verkürzen. Foto: contextflow

 

HILFE BEI PARKINSON

helpsole ist eine smarte Schuheinlage, die mithilfe von Sensoren das Gangmuster von Parkinson-PatientInnen erkennt und im Falle eines Freezing, also eines plötzlichen Einfrierens des Gangs, einen externen Reiz abgibt, der dabei hilft, das Freezing zu überwinden. Die KI erkennt ein bevorstehendes Freezing anhand spezifischer Parameter. Der Reiz wird somit schon ausgesendet, bevor es zu einem totalen Stillstand kommt. Somit werden Stürze und Folgeschäden vermieden, da die Betroffenen flüssig weitergehen können. Im ersten Schritt wird helpsole bei Freezing-Patient- Innen eingesetzt, das System ist aber auch bei anderen Gangstörungen anwendbar, die beispielsweise bei Multipler Sklerose oder Diabetes auftreten können. Zur Idee für helpsole kam es, da die 50-jährige Tante des Gründers Philipp Lederle an Parkinson erkrankte und unter Freezing leidet. „Bisherige Hilfsmittel sind Gehstöcke und Rollatoren, die stigmatisierend und unhandlich sind. Außerdem möchte eine 50-Jährige nicht als alt und gebrechlich abgestempelt werden, nur weil sie mit einer Symptomatik zu kämpfen hat. Diese persönliche Betroffenheit bewegte mich dazu ein smartes Device zu konzipieren, welches ‚unsichtbar‘ bei der Überwindung des Freezings hilft“, so Philipp Lederle. Im Laufe der Zeit konnten viele betroffene Personen von der Idee überzeugt werden. „Ihre Geschichten und ihre Begeisterung für unser Projekt geben uns täglich Kraft weiterzumachen und die Hürden und Herausforderungen zu bestehen“, erklärt Lederle. Zusätzlich zur helpsole soll eine Plattform (Pocket Neuro) für Betroffene entstehen, die anhand der eingespielten Gangdaten und zusätzlicher Information eine Vorhersage des weiteren Krankheitsverlaufs simuliert. Philipp Lederle: „Dies nimmt den Menschen die Ungewissheit vor der Zukunft und zeigt auf, welche Maßnahmen den Verlauf ihrer Erkrankung aktiv beeinflussen können.“

Mit helpsole entwickelte das Team um Philipp Lederle eine smarte Schuheinlage für Parkinson-PatientInnen. Foto: helpsole

 

TABLET-BASIERTE APP

Aus der Zusammenarbeit von ExpertInnen aus den Bereichen Demenz, Pflege und IT entstand die Idee für die Tablet- basierte App von digitAAL Life, die auf spielerische, multimodale Art die kognitive Leistungsfähigkeit aktiviert. „Im ersten gemeinsamen Forschungsprojekt ging es um die Digitalisierung der Methodik und um die Erforschung von Möglichkeiten für die Diagnostik mittels Eyetracking, Letzteres ist die wissenschaftliche Expertise von Joanneum Research – Institut Digital. In späteren Forschungsprojekten kamen auch andere PartnerInnen aus der Praxis und aus der Wissenschaft dazu. Als es dann darum ging, einen erfolgreichen Forschungsprototyp in ein Produkt überzuführen, wurde Ende Februar 2020 die digitAAL Life GmbH als Spin-off gegründet“, erklärt Maria Fellner, CEO und Co-Founder der digitAAL Life GmbH. Die App enthält zahlreiche thematische Trainings á 45 Minuten in je vier Schwierigkeitsgraden. Monatlich erscheinen neue Trainingsinhalte, die zuvor einem ausführlichen Qualitäts- und Praxischeck unterzogen werden. „Die App wurde von den Kundinnen und Kunden sehr gut aufgenommen – viele wollten nach den Feldtests in den Projekten das Tablet mit der App nicht mehr ‚hergeben‘ – so entstand die Notwendigkeit, ein kommerzielles Produkt anzubieten“, erklärt Fellner. Aktuelle und mittelfristige Ziele sind die Internationalisierung in DACH, Benelux und CEE, die Zertifizierung als Medizinprodukt für Demenztherapie und Diagnostik. „Unser Produkt soll zukünftig das Mittel der Wahl in der Demenztherapie und -diagnostik sein“, so Maria Fellner.

FRUCHTBARKEITS-TRACKER

Der digitale Fruchtbarkeits-Tracker
Breath ILO hilft dabei, die Planung
einer Schwangerschaft zu erleichtern.
Foto: Breath ILO

Mit dem digitalen Fruchtbarkeits-Tracker Breath ILO hilft Carbomed Medical Solutions dabei, den Zyklus von Frauen genau zu verfolgen und dadurch die Planung einer Schwangerschaft zu erleichtern. „Die Idee wurde von Ludwig Wildt von der Universitätsklinik Innsbruck geboren, der jahrelang am Zusammenhang von CO2-Gehalt im Atem und weiblichem Zyklus geforscht hat. Als mein Vater und ich Prof. Wildt kennenlernten, waren wir sofort begeistert von dem spannenden wissenschaftlichen Ansatz – und die Vision, daraus auch ein Gerät für Endkundinnen und -kunden zu entwickeln, war geboren“, erklärt Bastian Rüther, Managing Director bei Carbomed Medical Solutions. Die Entwicklung des Trackers hat über fünf Jahre gedauert und war sehr komplex. „Wir mussten es schaffen, eine vergleichbare Messperformance wie bei professionellen Atemmessgeräten zu erreichen, die mehrere tausend Euro kosten. Und das für einen Bruchteil der Kosten. Dies ist notwendig, um das Produkt für die breite Masse im Homecare-Bereich zugänglich zu machen“, so Rüther. Der Fruchtbarkeits-Tracker funktioniert über die Analyse des ausgeatmeten CO2 im Atem. Frauen müssen nur 60 Sekunden pro Tag durch das benutzerfreundliche Gerät in Ruhe ein- und ausatmen. „Wir hatten bisher einen sehr guten Marktstart. Nach unserem Soft-Launch in Österreich Mitte 2019 expandierten wir 2020 bereits in den gesamten DACH-Raum und haben eine Exportquote von über 80 Prozent“, so Rüther. Bereits im Herbst will das Unternehmen eine ganz neue App launchen, über die auch das Thema Zyklusgesundheit viel besser abgebildet wird. Bastian Rüther: „Zukünftig möchten wir auch ein natürliches Verhütungsprodukt auf den Markt bringen. Die Vision endet aber nicht im Bereich des Zyklus- Trackings, die innovative Atemmess-Technologie soll auch für weitere Anwendungsgebiete eingesetzt werden.“

HILFE BEI STRESS UND SORGEN

Der psychologische Chatbot Pocketcoach
zeigt NutzerInnen, wie sie mit Sorgen und Stress besser umgehen können.
Foto: Pocketcoach

Pocketcoach ist der erste psychologische Chatbot im gesamten deutschsprachigen Raum. Die App zeigt Menschen, wie sie mit Sorgen, innerer Unruhe und Stress besser umgehen können. „Wir nutzen dafür bewährte Methoden aus der Verhaltenstherapie und aus verwandten Ansätzen. Entwickelt haben die App mehrere Psychologinnen und Psychologen in Zusammenarbeit mit unserem wissenschaftlichen Beirat. Durch unseren Fokus auf Stress, Ängste und innere Unruhe wird die Pocketcoach-App vor allem von Frauen genutzt, da sie auch statistisch gesehen viel stärker von diesen psychologischen Themen betroffen sind“, erklärt Manuel Kraus, Gründer und CEO von Pocketcoach. Ausschlaggebend für die Entwicklung war für Kraus, dass sehr viele Menschen mit psychischen Problemen allein gelassen werden und nicht genügend Hilfe bekommen, da es an finanziellen Ressourcen und am Personal fehlt. Darüber hinaus sei auch die Hemmschwelle, sich diese Hilfe zu suchen, groß. „All diese Gründe tun sich zusammen, um ein Problem zu schaffen, dass wir mit den aktuellen Ansätzen nicht angemessen lösen können. Wir müssen Menschen früher erreichen – und das auf breiter Ebene. Wir wollten einen digitalen Begleiter bauen, der ohne Hemmschwelle und ohne persönlichen Kontakt gute, kompetente Hilfe bieten kann. Ziel war dabei nicht, Therapeuten und andere professionelle Helferinnen und Helfer zu ersetzen. Im Gegenteil: Ziel war und ist, als Brücke zu dienen, indem man Menschen erreicht, bevor sie jemals daran denken würden, sich professionelle Unterstützung zu suchen“, so Kraus. Mit seinem Mitgründer Philipp Omenitsch arbeitet Kraus nun seit über drei Jahren an der App. „Über das Feedback der Kundinnen und Kunden könnte man einiges erzählen, aber am besten ist es wohl ein paar Zahlen zu bringen. Wir haben in den letzten zwei Jahren 100.000 Nutzerinnen und Nutzer erreicht. Dazu haben wir in einer kleinen Pilotstudie herausgefunden, dass Stress um 19 Prozent sinkt, wenn Menschen die App für zwei Wochen nutzen“, so Kraus. In den kommenden Monaten soll die zertifizierte App auch in Deutschland vermarktet werden.