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"Wir werden 2023 mit einem positiven Wachstum abschließen" - Willi Cernko, CEO der Erste Group im Interview

Ausgabe #Dezember/2022 • ZEITENWENDE

WILLI CERNKO, CEO DER ERSTE GROUP, SPRICHT IM INTERVIEW ÜBER REZESSION, DEN ROBUSTEN ARBEITSMARKT, DIE CHANCEN VON WENDEZEITEN UND SEINEN OPTIMISMUS.

Viele Menschen belastet die aktuelle Situation. Wie können Sie trotz der schwierigen Rahmenbedingungen optimistisch bleiben?
Willi Cernko: Ich gehöre derzeit sicher zu einer Minderheit, aber gerade in herausfordernden Zeiten muss man das Gesamtbild betrachten und die negativen und positiven Faktoren gegeneinander abwägen. Es gibt wirtschaftlich aktuell einige positive Aspekte, die aber gerne übersehen werden.

Wo liegen für Sie die positiven Aspekte?
Cernko: Wenn ich mir zum Beispiel die Arbeitsmärkte in Österreich und in Osteuropa ansehe, dann erweisen sich diese als sehr stabil. Zudem werden sie trotz einer zu erwartenden wirtschaftlichen Abkühlung robust bleiben. Darüber hinaus haben die Regierungen Österreichs und einiger osteuropäischer Staaten die Märkte in der Covid- Krise mit vielen Hilfspaketen, also mit viel Geld geflutet. Das zeigt sich in den Zahlen vieler Unternehmen, die gestärkt aus den Krisenjahren hervorgehen. Insgesamt wurde und wird in den jeweiligen Ländern sehr viel gemacht, um gut durch diese herausfordernden Zeiten zu kommen.

Treibt das nicht die Staatsverschuldung deutlich nach oben?
Cernko: Wenn man sich den zentral- und osteuropäischen Raum ansieht, braucht man sich wegen der Staatsschuldenquote noch keine Sorgen machen. Die CEE-Länder sind allesamt deutlich geringer verschuldet. In Tschechien wird diese fürs laufende Jahr bei vorbildlichen 43, in der Slowakei bei 60, in Ungarn unter 75 und in Österreich bei etwa 78 Prozent liegen. Im Vergleich zu südeuropäischen Staaten wie Griechenland (über 180 Prozent des BIP) und Italien (knapp 150 Prozent) ist der CEE-Raum in diesem Bereich noch immer sehr gut aufgestellt. Das gibt uns den Spielraum, der Inflation sowie der Energiekrise entsprechend zu begegnen.

Das heißt, wir brauchen uns vor einer Rezession nicht zu fürchten.
Cernko: 2023 werden wir über zwei, vielleicht sogar drei Quartale ein negatives Wirtschaftswachstum sehen, aber wir gehen davon aus, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr mit einem kleinen positiven Wachstum abschließen kann. Insgesamt erwarten wir aktuell für die Region ein Wachstum von plus 0,7 Prozent. Und auch die Inflationsrate wird wieder etwas sinken. Es dürfte aber noch länger dauern, bis sich diese wieder auf einem – von der Europäischen Zentralbank gewünschten – Niveau von zwei Prozent bewegen wird.

Der Krieg in der Ukraine hat viele Pessimist:innen auf den Plan gerufen und wieder einmal wird von manchen „Osteuropa“ schlechtgeredet. Was sagen Sie diesen Skeptiker:innen?
Cernko: Vorab: Als Bank sind wir weder in der Ukraine noch in Russland präsent. Manche unserer Kund:innen sind zwar in den beiden Ländern aktiv, aber nur wenige sind von diesem Konflikt unmittelbar betroffen. Und diejenigen, die betroffen sind, haben die Probleme im Griff. Andererseits ist Osteuropa auch weiterhin eine dynamische Wachstumsregion, daran wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern. Davon sind auch unsere Investor: innen überzeugt und die wollen an dieser Wachstumsstory teilhaben. Spätestens 2024 wird das Wachstum im CEE-Raum wieder deutlich über dem von Westeuropa liegen. Für uns bleiben das spannende Märkte, denn die Menschen in CEE haben noch großen Aufholbedarf beim Thema Geld- und Vorsorgeprodukte.

Der Erste Group geht es also gut?
Cernko: Wir haben in den letzten Jahren trotz der vielen Herausforderungen ein fantastisches Wachstum erzielt, sowohl beim Geschäftsvolumen als auch beim Kundenwachstum. Auch die Qualität unseres Kreditportfolios ist hoch und der Anteil der Non-Performing-Loans, also jener Kredite, die leistungsgestört sind, wie man das im Bankerjargon nennt, ist auf einem Niveau von zwei Prozent – das ist ein historischer Tiefststand.

Können Ihre Kund:innen trotz Pandemie, Inflation und Energiekrise die Kredite noch bedienen?
Cernko: Ja! Auf der einen Seite spielt der robuste Arbeitsmarkt eine große Rolle. Auf der anderen Seite haben sich sehr viele Kund:innen in den letzten Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau Fixzinskredite gesichert, die sich nun bei steigenden Zinsen bezahlt machen. Hier möchte ich aber hinzufügen, dass das aktuelle Zinsniveau trotz der Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank auf zwei Prozent noch immer moderat ist. Es gab Zeiten mit zweistelligen Kreditzinsraten. Viele junge Menschen haben aber noch keine Hochzinsphasen wie etwa in den 1980er Jahren gesehen. Das verunsichert sie natürlich.

Wirken sich die höheren Zinsen auch auf Immobilienkredite aus?
Cernko: In unseren Kernmärkten sinkt die Nachfrage nach und den generellen Unsicherheiten durch Krieg und Energiekrise. In Österreich kommen auch noch die strengeren Regeln der Finanzmarktaufsicht für die Vergabe von Immobilienkrediten hinzu. Nach den neuen Vergabekriterien müssen Immobilienkäufer:innen 20 Prozent des Kaufpreises in Form von Eigenkapital abdecken. Die Kreditlaufzeit darf nur noch maximal 35 Jahre betragen und die Kreditrate darf 40 Prozent des Haushaltseinkommens nicht überschreiten. Während die Laufzeiteinschränkung und der Eigenmittelanteil für die Kund:innen meist zu bewältigen sind, erweist sich das Verhältnis von Haushaltseinkommen zur Belastung aus der Finanzierung als überaus problematisch. Aber hier sind wir mit den Verantwortlichen in guten Gesprächen. Wir würden hier eine Anhebung dieser Grenze auf 50 Prozent als sinnvoll erachten. Auch das Thema Zwischenfinanzierungen sollte in den Regelungen berücksichtigt werden.

Wie hoch ist der Anteil der Fixzinskredite bei der Erste Group?
Cernko: Beim Neugeschäft liegt diese Quote bereits bei 90 Prozent. Damit haben wir in den letzten Jahren einen großen Beitrag dazu geleistet, dass sich viele Kund:innen den Zinssteigerungen der letzten Monate sehr entspannt stellen konnten.

Die hohe Inflationsrate, die im Oktober elf Prozent betrug, macht den Österreicher:innen zu schaffen. Wie wirkt sich das auf das Sparverhalten hierzulande aus?
Cernko: Die Sparquote war hierzulande in den letzten Jahren mit 14 Prozent sehr hoch. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass diese unfreiwillig in die Höhe geschnellt ist, weil durch die zahlreichen Lockdowns keine Möglichkeit bestand, Geld auszugeben. 2022 ist die Sparquote mit der Öffnung der Geschäfte wieder auf ein normales Niveau von acht Prozent gesunken. Nachdem sich der Arbeitsmarkt bisher als sehr stabil erweist, gehe ich auch nicht davon aus, dass diese unter das übliche Niveau fällt.

Frisst nicht die Inflation das Ersparte auf?
Cernko: Das Sparbuch ist nicht dafür gedacht, langfristig Geld anzulegen. Es diente schon immer dazu, schnell liquide zu sein, um zum Beispiel eine unerwartete Autoreparatur zu bezahlen oder sich einen Urlaub zu gönnen. Aber eine Inflationsrate von elf Prozent ist natürlich für alle deutlich spürbar.

Finanzexpert:innen raten den Kund:innen in Wertpapiere zu investieren. Wird dieser Rat angenommen?
Cernko: Hier besteht noch viel Luft nach oben, aber mittlerweile haben wir bereits 1,2 Millionen Wertpapiersparpläne. In Österreich beträgt das Ansparvolumen pro Sparer: in und Monat rund 200 Euro und liegt somit über dem europäischen Durchschnitt und wir merken, dass das Interesse an diesen Produkten in den letzten Monaten deutlich steigt. Aber natürlich braucht es hier noch mehr Finanzbildung, um den Menschen die Möglichkeiten der Kapitalmärkte näherzubringen. Hier ist die Sparkassengruppe sehr aktiv und wir merken vor allem bei der jüngeren Generation ein Umdenken.

Wie gut sind die Sparkassen für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet?
Cernko: Eine unserer Grundstärken zeigte sich besonders in der Pandemie: Wir sind regional verwurzelt und haben daher eine große Nähe zu den Menschen. Es waren nicht die Onlinebanken, die die Kund:innen durch die schwierige Zeit der Pandemie begleitet haben, sondern die Regionalbanken. Das hybride Geschäftsmodell der Sparkassengruppe hat sich im Krisenfall bewährt und daran werden wir auch in Zukunft festhalten. Eine weitere Stärke der Sparkassen ist, dass sie Teil einer größeren Gruppe sind und wir so gemeinsam auch große Zukunftsthemen wie etwa die Digitalisierung bewältigen können.

Am Filialnetz wird also nicht gerüttelt?
Cernko: Die Filiale bleibt neben digitalen Services eine extrem wichtige Kontaktmöglichkeit für unsere Kund:innen. Aber natürlich wird das Filialnetz laufend an die Bedürfnisse der Kund:innen angepasst. Es braucht hier ein Umdenken, denn die Kund:innen haben heute andere Wünsche an die Bank als noch vor 30 Jahren. Wurden früher nahezu alle Bankgeschäfte in der Filiale abgewickelt, so werden heute einfache Dinge wie Überweisungen über das Internet gemacht. Aber für eine Anlageberatung oder einen Immobilienkredit kommen die Kund:innen noch immer in die Filiale und wollen sich beraten lassen. Sie sind heute zudem deutlich besser informiert, wenn sie in die Filiale kommen, und wollen zusätzlich von der Erfahrung unserer Kundenberater:innen profitieren.

Die Sparkassen beklagen vielfach, dass die europäische Aufsicht zu einer Überregulierung neigt und damit den kleinen Kommerzbanken das Überleben erschwert. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Cernko: Es ist wichtig, dass alle im Bankensystem nach den gleichen Spielregeln spielen, denn nur so ist für die Kund:innen ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet. Aber dabei sollte auch die Proportionalität eine wichtige Rolle spielen. Es kann nicht sein, dass kleine Banken in der gleichen Tiefe regulatorische Anforderungen erfüllen müssen wie Großbanken. Zum Beispiel könnte hier bei kleineren Instituten mit Schätzungen gearbeitet werden, während größere sehr detaillierte Risikomodelle vorlegen müssen. Es geht also nicht darum, weniger oder andere Regeln für kleinere Banken zu machen, sondern die Prüfungstiefe der Größe der jeweiligen Bank anzupassen.

Wir erleben gerade eine Phase der großen Umbrüche. Das ist sehr anstrengend. Aber bieten solche Wendezeiten nicht auch Chancen für Veränderungen?
Cernko: Das Thema Nachhaltigkeit hat durch die Energiekrise einen enormen Schub erfahren. Für mich ist das eine große Chance, denn erstmals werden dafür substanzielle Mittel bereitgestellt. Die Frage ist nur, ob wir smart genug sind, diese Mittel abzurufen. Hier ist die Politik gefordert, ein Umfeld zu kreieren, wo Unternehmen das Wagnis eingehen in neue Technologien zu investieren, um zum Beispiel alternative Energiequellen nutzbar zu machen oder das Thema Mobilität neu zu denken. Ein zweiter großer Zukunftsbereich ist die Digitalisierung. Schon in der Pandemie hat dieses Thema enorm an Bedeutung gewonnen und unsere Art zu arbeiten hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Viele Dinge die vor Jahren noch undenkbar waren, sind heute Teil unseres täglichen Lebens. Die Digitalisierung wird weiter voranschreiten und immer mehr Lebensbereiche erfassen. Und darauf müssen wir uns vorbereiten. Dabei wird die Digitalisierung Bestehendes nicht ersetzen, vielmehr wird sie sich zu einem „Sowohl-als-auch“ entwickeln. Zum Beispiel zeigt sich im Bankwesen, dass Online-Banking heute einen wichtigen Raum einnimmt, aber die Kund:innen auch noch persönlich und via Telefon mit der Bank Kontakt haben wollen. Wir als Sparkassengruppe haben gelernt, das Bedürfnisportfolio unserer Kund:innen zu befriedigen.

Welche Ziele haben Sie sich für 2023 gesetzt?
Cernko: Wirtschaft hat sehr viel mit Psychologie zu tun. Jede Lösung beginnt mit der Überzeugung, dass ich einen positiven Beitrag leisten kann. Daher ist es wichtig, das Vertrauen der Menschen zu stärken. Dann wird es auch wirtschaftlich wieder aufwärts gehen. Nicht umsonst haben wir uns den Slogan #glaubandich auf die Fahnen geheftet. Das ist für die Erste Bank und die Sparkassen nicht nur ein Werbeslogan, sondern ein Auftrag.


Foto: Marlena König