Sparkassen Zeitung

Economy

Das Hundertjährige, das aus dem Fenster stieg.

Ausgabe #5/2017 • Ideas for the Future

Der österreichsiche Rentenmarkt steht nicht gerade im Mittelpunkt des Interesses der internationalen Finanzmärkte. Aber diesmal haben selbst das "Handelsblatt" und die "FAZ"Notiz davon genommen. Ging es doch um eine kleine finanzpolitische Sensation, sebst auf europäischer Ebene: Der österreichische Staat hat nämlich vor kurzem eine Anleihe mit 100 Jahren Laufzeit begeben.

Das heißt im Klartext, dass die Tilgung dieses endfälligen Rentenwertes im Jahre 2117 erfolgen wird. Sie hat eine Nominalverzinsung von 2,1 Prozent, hat mehr als 1,8 Milliarden Euro zur Refinanzierung des heimischen Staatshaushalts gebracht und war vielfach überzeichnet. Das Besondere an diesem Investment ist die Tatsache, dass keiner der Investoren in der Endabrechnung wird beurteilen können, ob sich die Sache gelohnt hat. Selbst wenn die politischen Urenkel des gegenwärtigen Finanzministers es bis dahin schaffen sollten, die Staatsschuld auf 60 Prozent des BIP zu reduzieren. Aber wer weiß heute schon, ob die Maastricht-Kriterien die kommenden Jahrzehnte der Budgetpolitik im Euro-Raum überhaupt überleben werden?

Liegt dieser Asset Allocation grenzenloses Vertrauen in die Stabilität des Finanzmarktes Österreich und seiner sehr guten Ratings bei den internationalen Bewertungsagenturen zugrunde? Mag sein, dass wir alle uns derzeit eine neuerlich ausufernde Schuldenpolitik der öffentlichen Hand nicht vorstellen können, oder nicht vorstellen wollen! Die Rahmenbedingungen für diesen Begebungserfolg sind eher handfester Natur. Die institutionellen Anleger sind im neunten Jahr der EZB-Niedrigstzinspolitik mittlerweile in einer schwierigen Lage.

Ein integraler Bestandteil

Nicht nur der Mittelstand, der bei seinen Ersparnissen und Aktivitäten zur Geldvermögensbildung auf den Zinseszinseffekt nunmehr schon ein Jahrzehnt verzichten muss. Vor allem die Lebensversicherer sind in den Vorjahren Zinsgarantien eingegangen, die derzeit – mit Ausnahme der Aktienquoten im Portefeuille und beim Immobilienbestand – in der Regel am Rentenmarkt nicht erwirtschaftet werden können. Anleihen der öffentlichen Hand sind aber nun einmal ein integraler Bestandteil der Deckungsstöcke. So auch bei den Pensionskassen, bei den Mitarbeitervorsorgekassen und bei den vielen, von der Finanzwirtschaft angebotenen Fondssparplänen, die selbstverständlich auf Risikostreuung Bedacht nehmen müssen. Zumal wenn es sich um langfristige Strategien der Anleger für Alters- und Pflegevorsorge handelt. Die Suche nach werthaltiger Veranlagung ist somit zu einer der größten Herausforderungen der „Institutionellen“ geworden.

Fazit: Einen „Zweiprozenter“ im Bestand zu haben ist heutzutage schon ein Wert an sich. Dem Vernehmen nach gedenken auch andere Staaten, die sich mit den Anleihelaufzeiten schon bei 50 oder gar 70 Jahren bewegen, die Gunst der Zinsstunde zu nutzen und solche Jahrhundert-Projekte einzugehen. Beispiele für ein derart langes Engagement gab es bisher vereinzelt in Südamerika, den Vorreiter hat Argentinien abgegeben …

Für den Staat als Emittenten im derzeitigen Zinsumfeld ein attraktives Instrument. Die AnleihezeichnerInnen selbst tragen hingegen ein beachtliches Kursrisiko, denn irgendwann werden die Zinsen wieder steigen. Doch das ist wohl noch das geringere Problem. Die wirtschaftshistorische Perspektive ist für InvestorInnen alles andere als beruhigend, geschweige denn nachhaltig. Wäre etwa im Jahre 1917 eine „Hundertjährige“ aufgelegt worden, sie hätte die fatalen ökonomischen Folgewirkungen von zwei Weltkriegen und einige gravierende Währungsreformen überleben müssen. Was im Licht der vergangenen 100 Jahre als Illusion, ja mehr noch als Utopie erscheinen muss.

Aber sind nicht gerade das europäische Einigungswerk und seine währungspolitische Implikation namens Euro-Zone die Antwort auf das Vernichtungswerk des vergangenen Jahrhunderts? Sind die Mechanismen der Wertbewahrung schon so gefestigt, dass wir alle weltgeschichtlichen Turbulenzen mit exzessiver Wertvernichtung von Anlagen aller Art aus dem Bewusstsein verdrängt haben?

Zynische Skeptiker werden einwenden, Wolfgang Schäuble sei doch auch nicht mehr der Jüngste … Die Realisten haben für den Erfolg dieser Finanztransaktion einen weit profaneren Erklärungsversuch und bemühen Friedrich Schiller: „Der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb …“ Das gravierende Problem bleibt: Wir werden den Ausgang dieses Experiments alle nicht erleben!