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Economy

Bei uns am Land spürt man, dass die Menschen das Miteinander brauchen und suchen

Ausgabe #1 März/2021 • LUST AUFS LAND

ALFRED RIEDL, PRÄSIDENT DES ÖSTERREICHISCHEN GEMEINDEBUNDES UND BÜRGERMEISTER VON GRAFENWÖRTH, ÜBER DIE WICHTIGE ROLLE DER GEMEINDEN IN DER PANDEMIE, STADTFLUCHT UND HOMEOFFICE ALS CHANCE FÜR DEN LÄNDLICHEN RAUM.

Das Jahr 2020 war für Österreich nicht einfach. Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf die heimischen Gemeinden?

Alfred Riedl: Die Corona-Pandemie hält unser Land und die ganze Welt seit einem Jahr tagaus, tagein in Atem. Niemand hätte davor geahnt, dass ein einzelnes Virus unser gesamtes Gesundheits- und Wirtschaftssystem bis an den Rand der Überlastung bringt. Von Beginn der Krise an waren die Gemeinden und besonders die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister als Krisenmanagerinnen und Krisenmanager gefordert. Alle Leistungen der Daseinsvorsorge, ob Kinderbetreuung, Wasser, Kanal oder Müllentsorgung, haben stets einwandfrei funktioniert. Es hat sich in der Krise klar und deutlich gezeigt, dass ohne die Gemeinden nichts in diesem Land geht. Als Bürgermeisterinnen und Bürgermeister waren und sind wir die ersten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner – in Krisenzeiten umso mehr.

Sind die Kommunen in die Bewältigung der Corona-Krise aus Ihrer Sicht auch ausreichend eingebunden?

Riedl: Der Österreichische Gemeindebund ist seit Beginn der Krise intensiv eingebunden, wenn es etwa um die finanzielle Unterstützung der Gemeinden oder die Organisation der Massentests geht. In regelmäßigen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung und den Landesregierungen haben wir die Position der Gemeinden eingebracht. Der Gemeindebund ist auch regelmäßig bei den Besprechungen der Landeshauptleute mit der Bundesregierung eingebunden und bringt dabei die Position der Gemeinden ein.

 

Alfred Riedl
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„ES HAT SICH IN DER KRISE GEZEIGT, DASS OHNE DIE GEMEINDEN NICHTS
IN DIESEM LAND GEHT.“

Alfred Riedl,
Präsident des Österreichischen Gemeindebundes
und Bürgermeister von Grafenwörth

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Werden die Gemeinden auch finanziell unterstützt?

Riedl: Aufgrund unserer Verhandlungen haben wir schon im letzten Jahr vom Bund die Gemeindemilliarde zur 50-prozentigen Förderung von kommunalen Projekten erhalten. Im Herbst haben wir mit dem Bund nachverhandelt und schließlich ein weiteres Rettungspaket in Höhe von 1,5 Milliarden für alle Gemeinden im Jahr 2021 erhalten. Das Gesetz wurde Ende Jänner beschlossen und die Auszahlung der Hilfsmillionen startet ab März. Das 1,5-Milliarden-Euro-Paket dient der Stärkung der Liquidität der Kommunen. Mit beiden Paketen gibt es in den Krisenjahren 2020 und 2021 vom Bund nun rund 280 Euro pro Einwohnerin und Einwohner an direkter Corona-Hilfe für die Gemeinden. Die Bundesländer sorgen zusätzlich mit eigenen Gemeindepaketen in Höhe von 2,85 Milliarden Euro für eine Unterstützung der Gemeinden.

Welche Herausforderungen gilt es nun in den nächsten Jahren zu bewältigen, um den Gemeinden eine Zukunft zu geben?

Riedl: Unsere gemeinsame Kraftanstrengung muss jetzt der Bekämpfung der Pandemie gelten. Wir haben noch einen steilen Weg vor uns, bis ein Großteil der Bevölkerung geimpft und damit auch vor schweren Covid-Verläufen geschützt ist. Große Teile der Bevölkerung sind mittlerweile pandemiemüde. Gerade als Bürgermeisterin und Bürgermeister spüren wir jeden Tag die Stimmung der Bevölkerung. Nun gilt es weiter zusammenzuhalten und die Covid-Entwicklung fest im Blick zu haben. Klar ist für uns alle, dass die größte Herausforderung der wirtschaftliche Wiederaufbau unseres Landes sein wird. Unser Motto muss lauten: Gemeinsam aus der Krise rausinvestieren. Dabei müssen wir auch den Blick auf die Herausforderungen richten: die digitale Infrastruktur, die Reform der Pflege, den Klimaschutz oder die Stärkung des ländlichen Raumes. Eine Krise ist auch eine Chance.

Welche Chancen sollten die Gemeinden nun nutzen?

Riedl: Die Gemeinden kümmern sich tagtäglich um das direkte Lebensumfeld der Menschen. In der Krise haben die Bürgerinnen und Bürger gespürt, auf wen Verlass ist. Schon in den ersten Monaten der Krise haben sich Entwicklungen herauskristallisiert, die auch Chancen für Kommunen bringen können. Denken wir etwa an den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Wer im Jänner 2020 ein Programm für Digitalisierung und Ausbau von Homeoffice hatte, hätte wahrscheinlich auf Granit gebissen. Der erste Lockdown hat aber für einen Turbo bei Homeschooling und Homeoffice gesorgt und in weiterer Folge die Schwäche unserer digitalen Infrastruktur aufgezeigt. Das, was die Gemeinden seit Jahren fordern, muss jetzt noch schneller passieren: der flächendeckende Ausbau von schnellen Internetverbindungen in allen Regionen des Landes.

Gab es früher eine Landflucht, so hat man heute fast den Eindruck, dass es eine Stadtflucht gibt. Ziehen in den letzten Monaten vermehrt Menschen auf das Land?

Riedl: Mit der Digitalisierung einher geht auch der Trend der Regionalisierung. Immer mehr Menschen können mit Homeoffice und Co. zu großen Teilen von zu Hause aus arbeiten. Rund um die Ballungsräume sind in den letzten Monaten die Immobilienverkäufe angestiegen, was zeigt, dass der Wunsch nach dem Leben am Land immer stärker wird. Davon profitieren besonders Gemeinden in der Peripherie. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer statt fünf Tagen nur mehr zwei Tage im Büro verbringen, werden verstärkt auch längere Anfahrtswege in Kauf genommen. Bedingung fürs Leben am Land ist – wie bereits angesprochen – eine leistungsfähige digitale Infrastruktur.

Die Sozialpartner haben sich erst vor kurzem auf neue Regelungen für Homeoffice geeinigt. Welche Möglichkeiten bieten sich dadurch?

Riedl: Das war ein wichtiger Schritt, der diesem Megatrend Landleben einen zusätzlichen Schub geben wird. Aber auch die Gemeinden sind gefordert hier darauf zu reagieren und zum Beispiel mit digitaler Infrastruktur oder auch Coworking Spaces zu reagieren, die auch einen großen Beitrag zu einer dezentralen Arbeitsweise leisten könnten. Erste Projekte dazu gibt es zum Beispiel bereits in unserer Gemeinde Grafenwörth. Das wird nicht nur zu einer Verjüngung der Gemeinden führen, sondern das ist auch eine Chance, die Ortskerne wieder zu beleben.

Welche Möglichkeiten ergeben sich durch die jungen Zuzüglerinnen und Zuzügler?

Riedl: Wir haben in ganz Österreich schon ein dichtes Netz an Kindergärten und Schulen. Die Gemeinden betreiben rund 3.300 Kindergärten, rund 1.100 Kinderkrippen und fast 550 Horte. Zusätzlich sind die Gemeinden Schulerhalter von rund 4.300 Pflichtschulen. Das bedeutet, wir haben bereits ein dichtes Netz an Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die Gemeinden sind auch bemüht Betreuungsangebote nach Bedarf weiter auszubauen. Wenn Jungfamilien aufs Land ziehen, wird nach der Betreuungsmöglichkeit für Kinder gefragt. Klar ist aber auch, dass die Gemeinden den Ausbau nicht immer alleine stemmen können. Es braucht Unterstützung von Bund und Ländern, damit die bedarfsgerechten Angebote auch weiter ausgebaut und gefördert werden können.

Was macht aus Ihrer Sicht das Leben am Land attraktiv?

Riedl: Das Land ist – denke ich – deswegen so attraktiv, weil es viele Faktoren vereint: die Kinderbetreuung mit einer digitalen Infrastruktur, die Natur mit kurzen Wegen sowie die Geselligkeit und das Miteinander. Bei uns am Land spürt man, besonders bei den kleinen und größeren Veranstaltungen, dass die Menschen den Austausch miteinander brauchen und suchen. Dadurch entstehen neue Ideen für die Gemeinschaft, wovon wiederum alle profitieren. Gerade in der Krise haben die Menschen auch gesehen, dass das Überschaubare, die Gemeinde auch Sicherheit gibt, weil man die Protagonistinnen und Protagonisten kennt und lokale Themen sehr transparent sind. Wenn ich in der Gemeinde in der Früh eine Entscheidung treffe, kann ich sicher sein, dass ich sie am Abend am Stammtisch diskutieren und damit auch direkt Rechenschaft ablegen muss. Das spüren die Menschen auch in der Krisenzeit und deswegen vertrauen sie auch den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern.

Wie würden sich ländliche Gebiete aus Ihrer Sicht auch als Firmenstandorte attraktiver machen?

Riedl: Das Um und Auf ist auch hier die digitale Infrastruktur. Ob für produzierende Unternehmen oder Betriebe aus dem Dienstleistungssektor – alle sind auf schnelle Internetverbindungen angewiesen.

Manche Gemeinden sind in den vergangenen Jahren durch Fachmarktzentren am Ortsrand im Ortskern verödet. Diese Bauwut ist nicht nur ein ökologisches Problem, sondern bringt auch zahlreiche ökonomische und soziale Probleme mit sich. Wie soll diesem Trend in den nächsten Jahren entgegengewirkt werden?

Riedl: Die Gründe für leerstehende Ortskerne sind vielfältig, weswegen es auch keine einfache Antwort geben kann. Der Druck auf die Gemeinden, Baugründe für Einheimische zu widmen, ist gerade rund um Ballungszentren ein heiß diskutiertes Thema. Seit einigen Jahren wird jede einzelne Umwidmung in der Gemeinde intensivst diskutiert und die Bundesländer haben dazu auch verschiedenste Begrenzungen und Regularien beschlossen. Gleichzeitig wird die Belebung von Ortskernen von den Ländern intensiv gefördert, wobei man als Gemeinde auch hier an seine Grenzen stößt.

Die österreichischen Gemeinden haben vor der Pandemie sehr stark auf die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz gesetzt. Werden sie diesen Kurs nach der Pandemie weiter fortsetzen?

Riedl: Die Gemeinden waren schon in der Vergangenheit Trendsetter und Multiplikatoren, wenn es um erneuerbare Energien oder nachhaltige Projekte ging. Sei es bei der Umstellung auf LED-Lampen, Photovoltaik-Anlagen, E-Tankstellen, E-Fahrzeuge, Radwege und kreative Mobilitätslösungen – die Gemeinden leisten vor Ort einen wesentlichen Beitrag für den Klimaschutz. Dieser Weg geht auch aktuell weiter, wenn wir etwa an die Förderung von Klimaprojekten durch die Gemeindemilliarde denken oder die verstärkten Bemühungen zum Photovoltaikausbau. Wir werden weiter unseren Beitrag leisten und vor Ort bei unseren Bürgerinnen und Bürgern um Unterstützung auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft werben.